EIN BAUM FÜR GÖTTER UND BIENEN

650x365_sion_hiverEs hat geschneit. Endlich. Das fahle Braungrün wird von einer weißen, wenn auch dünnen Decke kaschiert. Immerhin. Das Wallis zeigt einmal mehr, dass es ein ausgesprochenes Trockental ist − die Stimmung in den Skistationen war auch schon besser. Dafür versinkt Griechenland im Schnee, und Jeffrey S. Kingston (Uhren-, Wein- und Gastrokenner) schwärmt in seinem Neujahrs-Mail von spektakulären 160 cm Tiefschnee und einer Menge Sonnenschein in seinem geliebten Sun Valley in Idaho, wo die Berge und die Chalets nicht viel anders aussehen als in den Schweizer Alpen. Müssen wir uns darauf einstellen, zum Skifahren künftig in die USA zu jetten?

goetterbaum-ganzDer schöne Exot muss verschwinden!
Hierzulande hat man dem Götter- oder Himmelsbaum (Ailanthus altissima) den Kampf angesagt. In Sion und Sierre ist seit diesem Dezember eine gnadenlose Ausrottungsaktion in Gange. Der Invasor wachse zu schnell in die Höhe, produziere zu viele Samen, breite sich unaufhaltsam aus und erobere die umliegenden Wälder, wo er die einheimischen Bäume verdränge. Außerdem koste der Krieg gegen den lästigen Fremdling eine Stange Geld.

k_1476356812Ja, es gibt in unserer Gegend Götterbäume. Und es wäre jammerschade, würden sie alle verschwinden. Ich habe ein wenig in den Büchern gestöbert und bin auf erstaunliche Informationen gestoßen, die das neuerdings verfemte Bittereschengewächs rehabilitieren. Demnach wurde der aus Südostasien stammende Götterbaum um 1730 erstmals in England in Parks und an Straßenrändern angepflanzt und verbreitete sich nach und nach in Süd- und Mitteleuropa. Dank seinen gelb-roten Früchten ist er höchst  dekorativ, und seine übrigen Eigenschaften machen ihn eigentlich ausgesprochen sympathisch.

Ailanthus altissima var. altissima / Chinesischer Götterbaum / Tree of Heaven / Ailanthe glanduleuxAus dem Harz seiner rissigen Rinde gewinnt man Räucherwerk sowie Heilmittel gegen Durchfall, Würmer und andere Beschwerden. Aus dem Holz wurden früher Fischerboote gezimmert und Holzschuhe geschnitzt. Außerdem übersteht der Götterbaum lange Dürreperioden und Temperaturen bis minus 30 °C problemlos, stellt keine Ansprüche an den Boden und ist gegen urbane Luftverschmutzungen resistent. Die duftenden Blüten sollen zudem viel Nektar produzieren und von Bienen und anderen Insekten intensiv besucht werden. Sein Honig ist laut Wikipedia würzig und wohlschmeckend, mit muskatellerartigem Aroma. Und die Pollen des Götterbaums sollen ein neues potentielles Allergen darstellen. Eine Augen- und Bienenweide also, wirklich ein Götterbaum, für den das Zentral- und Unterwallis grundsätzlich ein idealer Standort wäre! Aber eben doch ein böser Neophyt…

musee-de-la-nature-sionIns Museum statt auf die Piste
Der Schneemangel hat auch Vorteile. Man nimmt sich beispielsweise endlich Zeit, ins Naturmuseum in Sitten zu spazieren, um die Mini-Ausstellung von Wildbienen des Entomologen Maurice Paul (1835−1898) aus dem späten 19. Jahrhundert zu besichtigen. Zugegeben: Sensationell sind die beiden Kästen beim Eingang nicht. Sie führen jedoch auch Laien auf einen Blick vor Augen, welche Vielfalt an Größe und Formen «die sensible Welt der Wildbienen» entwickelte. Die spannend inszenierte Ausstellung zum Thema «Der Mensch und die Natur im Wallis» ist natürlich ebenfalls einen Besuch wert.wildbienen

Und schließlich singt der in Zürich lebende Künstler Heinrich Röllin auf seiner Neujahrskarte ein beeindruckendes Loblied auf die Imme:

«Eine Biene wiegt 80 Milligramm und bringt von einem Flug 50 Milligramm Pollen. Auf Kleeblüten sind 1500 Besuche notwendig, bis ein Bienenmagen gefüllt ist, aber eine Biene muss 60mal ihren Magen leeren, wenn sie nur einen Fingerhut Nektar sammeln will. Man nimmt an, dass 20 000 Bienenflüge notwendig sind, um einen Liter Nektar einzubringen. Aus einem Liter Nektar werden aber nur 150 Gramm Honig gewonnen. 1 Kilogramm Honig ist demnach die Lebensarbeit von 6000 Bienen. Und das alles unentgeltlich!»

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

«QUOD LICET IOVI…

… non licet bovi.» Der Auftritt mit lateinischen Sprüchen hat oft einen dünkelhaften Beigeschmack. In diesem Fall trifft er den Nagel jedoch so präzis auf den Kopf, dass ich nicht darauf verzichten mag. Jupiter ist erlaubt, was den Ochsen verboten ist. So war es bei den alten Römern, und so ist es auch heute noch bei uns in Europa.

insektenburgerInsekten auf dem Tisch, aber nicht im Stall
Die Festtage zeichnen sich im allgemeinen durch üppige Tafelfreuden aus. All die Filets im Teig, Fondues chinoises und Gänsebraten machen sich nicht nur auf der Waage bemerkbar, sie wecken bei einigen auch das ökologische Gewissen: Zuviel Fleisch! Unsere Großverteiler haben zwar nichts dagegen, wenn wir uns bei ihnen mit all diesen Köstlichkeiten eindecken, sind jedoch trendbewusst genug, um uns fürs kommende Jahr auf den rechten Weg zu führen. Mit vegetarischen und veganen Angeboten zum Beispiel, aber auch mit Leckerbissen aus der Insektenwelt. In der Westschweizer Coop-Zeitschrift Nr. 52 macht uns der Leiter der Frischprodukte, Roland Frefel, bereits jetzt den Mund wässrig auf die kulinarischen Kreationen aus Heuschrecken, Grillen und Mehlwürmern, die ab Mai 2017 angeboten werden.huhn-mit-insekt

Ob die angekündigten Insekten-Burger bei den Konsumenten den erhofften Erfolg bringen, wird sich zeigen. Paradox ist, dass der Verzehr von Insekten den Menschen sowie Hund und Katze erlaubt wird, ja sogar als ökologisch vorbildlich und zukunftsweisend gilt, jedoch laut EU-Recht das Füttern von Nutztieren mit Insekten nach wie vor verboten ist. Das gilt selbst für Arten wie Hühner, Enten, Puten usw., bei denen Insektenlarven, Würmer usw. zum natürlichen Nahrungsspektrum gehören. fleischabfallDas Problem werde überprüft, heißt es. Angesichts der horrenden Preise, zu denen Maden, Schaben & Co. im Versandhandel angeboten werden, kommen allerdings Zweifel auf. Der Vorschlag des Bauernverbandes, wieder wie früher tierische Proteine in Form von Schlacht- und Küchenabfällen der Hotellerie an Nutztiere verfüttern zu dürfen, statt sie aufwendig zu vernichten, scheint mir sinnvoller. (Quelle: NZZ am Sonntag vom 27.11.2016)

Das englische Mirakel
Eine kurze, aber aufregende Meldung ging vor Weihnachten durch die Presse. Der Entomologe Jason Chapman von der Universität Exeter in Cornwall und sein Team haben während zehn Jahren die Wanderung der Insekten am Himmel Südenglands beobachtet. Mit Hilfe von Radar und Fallen, die an kleinen Zeppelinen befestigt waren, kamen sie auf ein erstaunliches Resultat: Pro Jahr ziehen jason_chapmandurchschnittlich 3,5 Billionen Insekten wie Zugvögel im Frühling von Süden nach Norden und im Herbst wieder zurück in den Süden. Das Gesamtgewicht dieser Migranten wird auf 3200 Tonnen geschätzt. Obwohl die Zahlen je nach Jahr erheblich schwankten, ist diese Menge dennoch beeindruckend. Offenbar lassen sich die unterschiedlichsten Arten – von der Mücke bis zum Schmetterling – vom Wind in ergiebigere Nahrungsgründe treiben. Wer sich jetzt noch über Insektenschwund beklagt, ist nicht von dieser Welt! Sie sind immer noch da, und offensichtlich in rauhen Mengen.

Ein paar Fragen seien dennoch erlaubt. Ist dieses Phänomen auf den Süden Englands beschränkt? Bislang ist es die erste und einzige derartige Messstation, und über ähnliche Beobachtungen scheint seltsamerweise nichts bekannt zu sein. War es zudem überhaupt möglich, diese Zählungen zuverlässig durchzuführen? Interessant wäre schließlich auch zu wissen, wer diese Studie finanziert hat.henk-tennekes

Der deutsche Naturschutzbund (NABU) zum Beispiel wartet mit Zahlen auf, die eine andere Botschaft verkünden: «Allein in Nordrhein-Westfalen ist in den vergangenen 15 Jahren die Biomasse der Fluginsekten um bis zu 80% zurückgegangen. Unsere Beobachtungen sind beängstigend.» Ähnlich pessimistisch äußerte sich der niederländische Toxikologe Dr. Henk Tennekes vor vier Jahren: «In den vergangenen Jahren gab es ein Bienensterben von nie gekannter Dimension, und auch die Schmetterlinge befinden sich auf einem Tiefstand. Über den Rückgang der anderen Insektengruppen wissen wir wenig.»

Dennoch sind wir gespannt, mit welchen Ergebnissen uns Jason Chapman und seine Kollegen in den nächsten Jahren verblüffen werden. Doch zunächst wünsche ich allen ein gutes neues Jahr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

WER IST SCHULD AN DER GEFLÜGELPEST?

Der Schnee meint es dieses Jahr wieder einmal nicht gut mit den Wintersportdestinationen. Wir sollten jedoch die Hoffnung nicht aufgeben, denn die Muotathaler Wetterschmöcker haben weiße Weihnachten prophezeit. Und schließlich genießen auch viele den milden Spätherbst bzw. Winteranfang. Das Rindvieh und die Schafe zum Beispiel, die es sich draußen auf der Weide wohlsein lassen. Auch tierfreundliche Geflügelzüchter könnten ihre Hühner, Enten und Gänse tagsüber ins Freie lassen. Es soll jedoch nicht sein: Wegen der Vogelgrippe dürfen sie nur unter gewissen Bedingungen nach draußen, viele haben sogar strikten Stallarrest… Und ein Ende ist nicht abzusehen.

thdf415v87Am falschen Ende aufgezäumt?
Wenn wilde Enten und Schwäne gefunden werden, die am Vogelgrippevirus verendet sind, kommt Alarmstimmung auf. Begreiflich, denn in Deutschland mussten bisher über 150’000 Tiere «gekeult» werden. Als Schuldige für diese Geflügelpest werden offiziell die Zugvögel bezeichnet, die das H5N8-Virus mit dem Kot übertragen.

Nun regt sich in deutschen Naturschutzkreisen Widerstand. Nicht die Wildvögel seien die Ursache der Pandemie, sondern die Geflügelindustrie und ganz allgemein die Massentierhaltung. Der Naturschutzbund (Nabu) wirft den zuständigen Behörden gar Desinformation vor. Verantwortlich dafür seien unter anderem Importe von Agrarprodukten aus China und Thailand, die Geflügelkot enthalten. Dazu gehören Einstreu für die Ställe und, noch appetitlicher, industrielles Fischfutter.verpacken

Der Biologe Josef H. Reichholf (71) ist ein vielseitiger Geist: er machte (und macht) sich als Ornithologe, Evolutionsbiologe, Tiergeograf, Ökologe und Naturschützer einen Namen. Ich habe ihn als brillanten Autor von Das Rätsel der Menschwerdung (1990) und Der schöpferische Impuls (1992) kennengelernt. Ungeachtet seines Renommees eckt er immer wieder an, weil er sich erlaubt, gegen den Strom zu schwimmen und mit seiner Kritik auch den Naturschutz nicht verschont. reichholfIm Spiegel Nr. 51/2016 äußert sich Reichholf zur Vogelgrippe, und zwar ebenfalls im Sinne des Nabu. «Im Spätherbst wird in großem Umfang Gülle und Mist auf die Felder gebracht. Vieles spricht dafür, dass der Erreger schon in Massentierställen verbreitet war und von dort nach draußen gelangte. Krähen beispielsweise, die auf den Feldern nach Futter suchten, könnten den Erreger dann zu nahegelegenen Gewässern getragen haben, wo sich schließlich Wildenten und Schwäne ansteckten. Bis heute wird ja nicht untersucht, welche Krankheitskeime mit Geflügelmist und Gülle in die Umwelt gebracht werden.»

huehner345Falsche Maßnahmen
Die Stallpflicht hält er nicht nur für sinnlos, sondern für gefährlich: «Ausgerechnet die Halter von freilaufenden Hühnern, bei denen fast nie Vogelgrippe auftritt, werden gezwungen, ihre Tiere einzusperren, was sie anfälliger für Infektionen macht.» Ebenso wenig hält er von der Leinenpflicht für Hunde, nimmt jedoch die Jagd ins Visier: «Durch die Jagd wird die Ausbreitung von Seuchen massiv gefördert. Sobald es knallt, fliegen die nicht getroffenen Vögel aufgeschreckt auf und flüchten zum nächsten Gewässer. So werden die Vogelgruppen ständig neu durchmischt, infizierte Tiere stecken nichtinfizierte an.»

epa00130203 A Balinese woman prays during a chickens mass cull at Bolangan village, Tabanan district 30 Kilometers Northwest Bali capital of Denpasar Friday 06 February 2004. Bali district officials on Friday held a traditional Hindu cremation ceremony to cull some 500 dead chickens infected by avian influenza, the virus that has claimed at least 16 lives in other Asian countries. The "ngaben" cremation ceremony, usually reserved for humans, was staged by the district authorities of Tabanan, 20 kilometres west of Bali's capital Denpasar, to demonstrate the island's determination to stop the spread of bird flu among its poultry population. EPA/WEDAWie schlimm die Vogelgrippe in Asien wütet, illustriert eine aktuelle Meldung der NZZ: In Südkorea seien im November fast zehn Millionen Hühner und Enten gekeult worden, und weitere 2,5 Millionen müssen vorsorglich getötet werden.

Beim Anblick der engstens zusammengepferchten, struppig befiederten Hühner, Enten, Gänse und Puten vergeht einem sowieso der Appetit, und man kann nur hoffen, dass Reichholf und alle andern, die für eine tierfreundlichere Agrarwirtschaft kämpfen, es nicht ganz nutzlos tun. Um beim Thema dieses Blogs zu bleiben: Das käme nicht nur den Vögeln, sondern auch den Insekten zugute!

 

 

 

FEHLT DIE BEUTE, HILFT NUR NOCH BETEN

«Morgen, Kinder, wird’s was geben…» Ja, es ist Vorweihnachtszeit mit allem, was dazugehört: Weihnachtsmärkte, Ohrwürmer wie Jingle bells, jingle bells, jingle all the way in den Warenhäusern, Nikolaus-Skirennen, Glühwein, Einkaufsstress allenthalben… Nur etwas fehlt: der Schnee. Jedenfalls im Wallis sind nur die Gipfel weiß, die Sonne verteidigt ihren Platz hartnäckig. Auch schön, so konnten wir gestern im Rebberg noch einige Trauben pflücken und eine putzmuntere Heuschrecke beobachten.

blog-51Gottesanbeterin auf dem Vormarsch?
Den meisten Zeitungen war es mindestens eine Spalte wert: Die Gottesanbeterin ist zum Insekt des Jahres 2017 erkoren worden. Im Gegensatz zum Star von 2016, dem weitgehend unbekannten Dunkelbraunen Kugelspringer, bietet diese Fangheuschrecke genügend Stoff. Sogar der seriöse deutsche Naturschutzbund bezeichnet sie als «Femme fatale, Vorbild für Kung-Fu-Kämpfer und japanisches Symbol der Wachsamkeit, Geduld und Beständigkeit». Ihren Ruf als Gattenmörderin, die «ihre Männchen nach dem Sex frisst» (NZZ am Sonntag), macht die Gottesanbeterin auch für Menschen zum Faszinosum, die sich sonst nicht sehr für Insekten interessieren. Dahinter steckt jedoch keine sinnlose Brutalität; das (gelegentliche) Opfer des Männchens ist sogar biologisch sinnvoll, da es als Energielieferant für das befruchtete Weibchen dient, das wenige Tage später bis zu 200 Eier in einer Schaummasse ablegt. Dieser Schaum wird so hart, dass er hungrigen Vögeln widersteht und sogar sehr tiefe Temperaturen dem Gelege nichts anhaben können.gottesanbeterin-kopulation

Die Europäische Gottesanbeterin ist ursprünglich von Afrika eingewandert und hat sich allmählich gegen Norden ausgebreitet. Sie mag es warm und möglichst trocken. Die Wahl des deutschen Kuratoriums wird vom NABU wie folgt kommentiert: «In Deutschland kam das Insekt des Jahres 2017 lange Zeit nur in Wärmeinseln wie dem Kaiserstuhl bei Freiburg vor.

blog-51-oothekMittlerweile aber wurde die Gottesanbeterin mit Ausnahme von Niedersachsen und Schleswig-Holstein bereits in allen deutschen Bundesländern nachgewiesen. Einige der Fundorte mögen auch auf Verschleppung als unbeabsichtigtes ‹Urlaubsmitbringsel› aus dem Süden zurückgehen. Aber insgesamt ist die Art ein gutes Beispiel für die Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die mitteleuropäische Tierwelt. Mit steigendem Temperaturen wird sich die Gottesanbeterin voraussichtlich immer weiter ausbreiten.»

Wärme allein genügt jedoch nicht. Wenn die Larven im Spätfrühling schlüpfen, benötigen sie ein reiches Nahrungsangebot an noch kleineren Insekten, denn sie müssen innerhalb von gut zwei Monaten von 6 mm auf 6 cm (Männchen) oder gar 7,5 cm (Weibchen) heranwachsen. Und nicht nur das: sie müssen auch genügend fit sein, um sich im August fortzupflanzen.blog-51beute So selbstverständlich, wie es scheint, ist das nicht, vor allem in einem verregneten, kalten Frühjahr wie jenem von 2016. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Der Bestand an Gottesanbeterinnen ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen, und zwar in der Ardèche wie im Wallis. Und diesen Sommer war es besonders schlimm. Da hilft nur noch beten!

Die Rebzikade singt nun auch im Wallis
blog-51-rebzikade Nach der Kirschessigfliege sorgt ein weiteres Insekt für Probleme: Die Amerikanische Rebzikade hat sich diesen Herbst auch im Wallis manifestiert. Sie wurde in den 1940er Jahren aus Übersee eingeschleppt und breitete sich allmählich in Europa aus. Scaphoideus titanus misst zwar bloß 5 mm, riesig sind hingegen die Schäden, die die Goldgelbe Vergilbung anrichten kann, die von ihr übertragene Rebenkrankheit. Und sie ist besonders schwierig zu bekämpfen.

blog-51-rebzikade-schadenNeben strenger Kontrolle, Hygiene und Pflanzenschutzmitteln, die großräumig eingesetzt werden müssen, sollen laut Wikipedia bzw. dem Österreichischen Weinbauverband auch die umliegenden Wälder und Gärten einbezogen werden: «Innerhalb ausgewiesener Befalls- und Sicherheitszonen gelten weiter folgende Regelungen. Aufgelassene Weingärten, Vermehrungsflächen, Weinhecken usw. sind bis Ende Mai in einen ordnungsgemäßen Pflegezustand zu bringen oder zu roden. Waldreben (Clematis vitalba) auf bepflanzten Grundstücken und an benachbarten Waldrändern sind zu entfernen. Ihre Wiederaustrieb ist zu verhindern. Sämtliche Weingärten, Weinhecken, Weinlauben sowie einzelne Rebstöcke sind gemäß den behördlichen Vorgaben zu behandeln.» Verständlich, dass die Rebbauern keine Freude an diesem Einwanderer haben.

 

DIE SANFTMÜTIGEN DUNKLEN


arton978Dass Honig gesund ist, weiß jedes Kind. Wie gesund und heilkräftig er sein kann, entdecke ich jedoch erst neuerdings, weil Robert seit diesem Sommer an einer kleinen, aber perfiden Wunde oberhalb des Knöchels herumdoktert, die einfach nicht richtig heilen will. Der Buchsbaum, an dem er sich verletzt hat, soll ja auch stark giftig sein… Die Reise durchs Internet führte mich zum Honig, der sogar in Arztpraxen und Spitälern zur Wundbehandlung eingesetzt wird. Wunder bewirke der mit Gammastrahlen von Bakterien befreite «Medihoney» zwar nicht, aber er habe seinen Platz in der Schulmedizin erobert. Roberts Bein wird vorläufig noch mit einer schwarzen Salbe verarztet, aber, wer weiß, vielleicht ist es schließlich der gute alte Honig, der zum Guten führt.

Reichhaltiger Nektar
Diesen Sommer lernte ich in dvincent-canovaer Ardèche die Dunkle Biene (Apis mellifera mellifera) kennen und beschrieb diese Begegnung im Blog vom 25. Juli 2016. Der Imker Vincent Canova hat sich dieser urtümlichen Art verschrieben und verkaufte uns neben seinem üblichen Honig ein Glas, das mit einer schwarzen Banderole versehen war mit dem Hinweis, ihn nicht täglich zu genießen, da er etwas ganz Besonderes sei. Vincent gewinnt seinen Honig nicht durch Schleudern, sondern lässt ihn langsam abtropfen. Und der Honig mit diesem Vermerk ist der erste, der aus den Waben fließt. Weil er in direktem Kontakt mit dem Wabendeckel gewesen sei, sei er besonders reich an Inhibin. Diese antibiotische hormonelle Substanz deponiert die Arbeiterbiene auf der Oberfläche des Honigs, bevor sie die Wabe deckelt. Deshalb könne dieser Nektar auch zu anderen Zwecken als zum Süßen des Tees verwendet werden. «Es ist also eine Art Medikament», frage ich Vincent. Worauf er nickt, jedoch schweigt. Denn als Imker darf er grundsätzlich sein Produkt nicht als Heilmittel anbieten.

Ein ausgesprochen kurioses Rezept stammt übrigens aus dem alten China. Man ernährte einen Mann so lange ausschließlich mit Honig, bis er starb. Dann legte man ihn in einen mit Honig gefüllten Behälter, in dem sich die Leiche mit der Zeit auflöste (obwohl Blütenhonig eigentlich als Mittel für die Mumifizierung gilt). Die so entstandene Mixtur galt als besonders heilkräftig und war entsprechend teuer.

Imkern vor einem Jahrhundert
titelseit-liv-abeilleEin paar Tage später erhielt ich von Sylvette, die mit ihren Freundinnen im Sommer hin und wieder einen Brocante-Stand betreibt, ein Büchlein über Bienen und Bienenzucht aus dem Jahr 1922. Der Autor E. Alphandéry war seinerzeit Präsident des Imkervereins des Rhonetals und Direktor der Zeitschrift «La Gazette apicole». Das Buch ist also vor fast einem Jahrhundert erschienen, und das sieht man ihm auch an. Zum Einstieg kommen die französischen Dichter zum Wort, die diese geheimnisvollen Insekten in schwärmerischen Versen besingen. Dann geht’s jedoch in medias res mit der Anatomie, der Entwicklung vom Ei über die Larve zur Arbeiterin, Drohne oder Königin. Im Mittelpunkt steht die Dunkle Biene, die damals noch allgemein verbreitet war und hier deshalb als Abeille française bezeichnet wird. Es wurden jedoch auch Kreuzungen und andere Rassen gehalten.

Auf 300 Seiten fand das Imkerherz vermutlich alles, was es begehrte. Die unterschiedlichsten Formen von Kästen und Körben werden vorgestellt, sämtliche Geräte, die Arbeiten in allen Monaten, Krankheiten und Feinde der Schützlinge, Statistiken aus allen europäischen Ländern, Koch- und Arzneimittelrezepte usw. Eine Fundgrube, die mich voraussichtlich noch lange beschäftigen wird!

dsc01310Was mir beim Durchblättern besonders auffällt, sind die Menschen, die sich mit der Imkerei beschäftigten, beziehungsweise deren Kleidung. Auf einem Foto steht der Buchautor im weißen Anzug mit Krawatte und elegantem Strohhut vor dem Bienenhaus und schreibt seine täglichen Notizen in ein Büchlein. Ein Paar hantiert mit einem Schwarm, um ihn in einen anderen Korb zu zügeln: Sie trägt eine kurzärmlige Bluse, wadenlangen Rock und Stöckelschuhe, er schwarze Hosen mit Gilet, weißes Hemd und selbstverständlich Krawatte sowie elegantes, auf Hochglanz poliertes Schuhwerk. Die meisten sind so oder ähnlich angezogen, von Schutzanzügen, Schleiern oder Handschuhen keine Spur. dsc01308Die Damen und Herren holten Schwärme von den Bäumen, als hätten diese Bienen keinen Stachel besessen.

Tatsächlich scheinen die Dunklen Bienen einen besonders friedfertigen Charakter zu besitzen. Der 1994 gegründete Verein Schweizerischer Mellifera Bienenfreunde beschreibt sie folgendermaßen: «Sanftmut, ruhiger Sitz auf den Waben, geringe Schwarmneigung, ausgeglichener Honigertrag, Winterfestigkeit sowie gutes Hygieneverhalten».

Der französische Bienenspezialist riet Anfängern dennoch, sich mit Handschuhen und einem Schleier zu schützen. Es komme allerdings sehr selten vor, dass man von den Bienen ernstlich gestochen werde. Selbst bei länger dauernden und heiklen Manipulationen seien sie friedlich, falls man Vorsicht walten lasse und ruhig bleibe. Er räumt jedoch ein, dass die Imkerei wohl mehr Anhänger fände, wenn die Bienen keinen Stachel hätten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

BIENENTOD UND ELEKTROSMOG

 

Es ist immer noch so frühlingshaft mild, dass man im T-Shirt spazierengehen kann. Der Winter steht jedoch eindeutig vor der Tür, und wir müssen uns, nicht nur politisch, auf rauhere Zeiten gefasst machen. Winterpneus, Vogelfutter, Strickmützen und Handschuhe stehen auf dem Programm. Und selbstverständlich ein Esslöffel Bienenhonig zum Frühstück, als leckerer Auftakt und Grippeprävention. Doch gibt es überhaupt genug Schweizer Honig? Ein Berner Imker klagte, das Wetter sei diesen Frühling und Sommer so grottenschlecht gewesen, dass er kaum etwas geerntet habe.

049-rohrbachgrabenGeheimnisvolles Bienensterben
Louis Flückiger (75) imkert ebenfalls im Kanton Bern, genauer: in der nach eigenem Urteil «liebens- und lebenswerten» Gemeinde Rohrbachgraben im Oberaargau. 420 Einwohner, 40 Bauernbetriebe, die vorwiegend Milchwirtschaft betreiben, etwas Kleingewerbe, kein Anschluss an den öffentlichen Verkehr, kein Dorfladen, dafür viel Natur und Ruhe in idyllischer Hügellandschaft. Dass hier ein dramatisches Bienensterben stattfand, mutet geradezu absurd an.

049-tote-bienenEs begann 2012, als Louis Flückiger zwischen Mai und Mitte Juli 60 Bienenvölker verlor. Die ungefähr 35’000 Bienen verendeten jeweils, sobald die Umgebungstemperatur über 18 Grad Celsius gestiegen war. Dem erfahrenen Imker war das unerklärlich, und er rief Spezialisten zu Hilfe. Doch weder Agroscope Liebefeld noch die Apiservice GmbH oder der Schweizerische Imker-Dachverband konnten ihm Auskunft geben. Besonders enttäuschend fand er, dass er von diesen Stellen nicht einmal Bescheid erhalten habe.

Louis Flückiger gab dennoch nicht auf, kaufte neue Völker und stellte sie an anderen Standorten auf. Das Drama wiederholte sich immer wieder aufs Neue. 2016 bat er die dem Imker-Dachverband angegliederte Fachstelle Bienengesundheitsdienst nochmals um Unterstützung. Diese stellte neben Flückigers Bienenhaus einen eigenen Kasten auf und bestückte sie mit zwei Testvölkern. Drei Tage später waren alle Bienen tot. Für die Fachleute war nun klar, dass hier Gift bzw. Pflanzenschutzmittel im Spiel sein müssten. Man habe Rückstände in der Umgebung gefunden, es könne sich jedoch auch um eine heimtückische Vernichtungsaktion handeln. Und man riet ihm, umgehend Anzeige zu erstatten.

Die andere Spur
Louis Flückiger verzichtete darauf, einen möglichen Täter ausfindig zu machen. Er glaubte auch nicht, dass Pflanzenschutzmittel oder Insektizide der Grund für das Bienensterben seien, da es in seiner Umgebung sozusagen nur Viehweiden gebe.

049-mastSchließlich lernte er den Imker und ehemaligen Bienenzuchtberater Kurt Härry aus Wabern kennen. Dieser hatte sich schon seit längerem mit der Auswirkungen des sogenannten Elektrosmogs beschäftigt. Hieb- und stichfest beweisen können die beiden nicht, dass Strahlungen die Ursache für das jahrelange Verenden ihrer Schützlinge sind. Doch seit Flückigers Bienen in mit Kupfer und Aluminium ausgekleideten, vor Strahlungen abgeschirmten Kästen hausen, geht es ihnen jedenfalls auch bei Außentemperaturen von über 18 Grad bestens.

Härry und Flückiger sind nicht die ersten, die sich in ihrem Kanton für den Einfluss von Strahlungen auf Bienen interessieren. Als Reaktion auf ein massives Bienensterben anno 2007 stellte Peter Loepfe 2008 gemeinsam mit drei Imkerkollegen in Großhöchstetten in der Nähe einer Mobilfunkantenne versuchsweise Kästen mit zwölf gesunden Völkern aus verschiedenen Zuchten auf. Die Hälfte der Bienen habe sich verirrt und sei nicht mehr in den Stock zurückgekehrt. Das behäbige 3550-Seelen-Dorf Großhöchstetten liegt nach Beschreibung der Gemeinde «in intakter Landschaft» auf rund 800 m Höhe. (Quelle: Berner Zeitung vom 14.10.2016 und vom 16.9.2008.)049-bienensterben_1

Die Testergebnisse der Berner Imker werden zwar von wissenschaftlicher Seite angezweifelt, sie erhalten jedoch geistige Schützenhilfe durch den Biowissenschaftler Dr. Ulrich Warnke (Uni Saarbrücken) mit seinem 2008 erstmals erschienen Buch «Bienen, Vögel und Menschen: die Zerstörung der Natur durch ‚Elektrosmog’». Er behauptet unter anderem, dass Bienen durch die Strahlungen des Mobil- und Kommunikationsfunks unruhig, aggressiv und desorientiert würden. Die Temperatur im Volk erhöhe sich (!), die Kommunikation und die Magnetfeldorientierung seien gestört…

 

PS: Welche Erfahrungen machen diesbezüglich Imkerinnen und Imker in Berlin, Paris, London oder Zürich?

 

EIN FLEXIBLER SCHWÄRMER

 

 

blog-48-lac-de-montorgeEndlich komme ich wieder zum Bloggen! Vor den Festtagen geht es jedoch nicht nur in den Warenhäusern hoch zu und her, auch für viele Übersetzer sind das strube Zeiten. Der Kunde ist jedoch König, da muss das meiste für eine Weile zurückstehen…

Die Spaziergänge mit Hund Truffo lassen wir uns dennoch nicht nehmen. Morgens, wenn es genügend hell ist, um das Montorge-Seelein zu umrunden, fand bis vor einigen Tagen ein großartiges Schauspiel statt. Auf der kleinen, mit Röhricht bewachsenen Insel rechts im Bild befindet sich nämlich ein Schlafplatz für Stare, die sich jeweils im Herbst für einige Wochen zu Hunderten einfinden. Solche Inseln gehören zu ihren Lieblingsplätzen, die sie oft während Jahrzehnten aufsuchen.schwarm

Soziale Tänzer und Schwätzer
In der Morgendämmerung beginnt auf der kleinen Insel ein eifriges Geschwätz, das weitherum zu hören ist. Es scheint zum Ritual der Stare zu gehören, miteinander zu kommunizieren, bevor man sich zum Tagesgeschäft aufmacht. Irgendwann verstummen sie schlagartig, und einige Sekunden später rauscht der Schwarm himmelwärts, zieht noch ein paar Runden und verschwindet schließlich in Richtung Weinberge, wo sich die Vögel tagsüber die Bäuche vollschlagen. Nicht unbedingt zur Freude der Winzer, versteht sich…

A flock of starlings fly over an agricultural field near the southern Israeli city of Netivot January 24, 2013. REUTERS/Amir Cohen (ISRAEL - Tags: ANIMALS ENVIRONMENT TPX IMAGES OF THE DAY)Bevor es einnachtet, kehren sie gemeinsam zum Schlafplatz zurück. Es scheint, als wollten sie zur Krönung des Tages ein Feuerwerk ihrer Kunst zum Besten geben. In rasantem Tempo bildet der Schwarm immer neue Formationen: Schläuche, Wellen, Kugeln, die sich pulsierend ausdehnen und zusammenziehen, fast schwarz und dann wieder durchscheinend werden. Diese lebenden Bilder wechseln die Richtung und verschwinden ebenso rasch, wie sie gekommen sind. Neue Trupps tauchen auf, verschmelzen mit den anderen zu einer einzigen Wolke. Der Tanz kann ein paar Minuten oder auch viel länger dauern. Wer oder was diese faszinierende Choreografie bestimmt, ist nach wie vor ein Rätsel.

star-an-baumEs soll Starenschwärme mit mehreren Hunderttausend, ja sogar Millionen Individuen geben (wie im Bild oben aus Israel). Wie viele es bei uns sind, ist für mich schwer zu sagen. Es scheint jedoch, dass der Trupp diesmal kleiner ist als in den vorhergehenden Jahren. Dass es im Vergleich zu anderen insektenfressenden Vögeln immer noch recht viele Stare gibt, hängt vermutlich mit ihrem breiten Nahrungsspektrum und ihrer Intelligenz zusammen. Die wichtigste animalische Nahrung sind im Boden lebende Insektenlarven (Wiesenschnake, Schmetterlinge, Graseule), aber auch Käfer, Regenwürmer, Schnecken und Raupen. Sogar kleine Fische, Eidechsen, Blindschleichen, Frösche und Teichmolche werden erbeutet und zum Teil dem Nachwuchs verfüttert. Und wenn für die Nestlinge zu wenig Insekten und Würmer gefunden werden, stopfen die Stare die ewig hungrigen Schnäbel eben mit fast allem, was sie finden: Wurst, Fleischresten, Brot, Nudeln, Kirschen, Vieh- und Hühnerfutter. (Quelle: G. von Blotzheim, Handbuch der Vögel Mitteleuropas Bd. 13/III). Anpassungsfähigkeit scheint ihr Erfolgsrezept zu sein.

bretoletAb ins Winterquartier
Wohin sind die Stare gezogen? Stare sind auch in der Wahl ihrer Winterquartiere flexibel. Es muss nicht unbedingt Afrika sein, in nördlicheren Gebieten überwintern sie vorwiegend in größeren Städten, im Süden eher in Kulturlandschaften. Möglicherweise sind sie über den Col de Bretolet geflogen, den 1923 m hohen Pass im Wallis, der von Zugvögeln besonders stark frequentiert wird und die wichtigste Beringungsstation in der Schweiz ist.

blaumeiseDieses Jahr haben erneut die Buchfinken den Rekord gehalten: 4373 flogen in die Netze und wurden beringt. Das überrascht nicht, sind sie doch in der Schweiz die am häufigsten vorkommende Vogelart. Erstaunlicher ist die Blaumeise, von denen 2015 auf dem Bretolet-Pass über 4000 Stück ins Netz flogen. dsc012932016 waren es noch knapp ein Dutzend! Das sei jedoch normal, meint der verantwortliche Ornithologe der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach, Fabian Schneider, solche Zyklen der Population seien vom Nahrungsangebot abhängig. Da sind wir gespannt auf die Zahlen von 2017! (Quelle: Le Nouvelliste)

Noch eine Beobachtung diesen Sommer und Herbst. Unser Feigenbaum konnte 2016 zweimal abgeerntet werden, und zwar so üppig wie nie zuvor. Die letzten hängen noch am sonst kahlen Baum, als Vogelfutter. Diesmal wurden eindeutig weniger Früchte von den Vögeln gefressen oder angepickt. Dagegen ist eigentlich nichts zu haben. Nur etwas stört: Es gab 2016 eindeutig weniger Vögel als sonst.

 

 

BIO-STADT SION

 

dsc01261Seit elf Jahren wohnen wir nun in Sion bzw. Sitten, wie der einst zweisprachige Hauptort des Kantons Wallis im Rhonetal auf deutsch heißt. Die 30 000-Seelen-Stadt ist unter anderem für ihre Geschichte, ihre Burgruine und die Wehrkirche mit der uralten Schwalbenschwanz-Orgel, den bunten Freitagsmarkt, ihren Fussballklub und seinen Präsidenten sowie das trocken-heiße Klima bekannt. Weinbau herrscht am kunstvoll terrassierten Nordhang vor, in der Ebene wird vor allem Obstbau betrieben. Die Bewohner sind sich deshalb an die morgens Punkt 6 Uhr startenden Helikopter gewöhnt, die ihre Mittel dicht über den Reben versprühen. Obwohl die Kreisel in der Stadt erfreulich «wild» und natürlich bepflanzt sind, hätte ich nicht unbedingt gedacht, dass sich Sion hinsichtlich des Weinbaus als vorbildlichste Bio-Stadt Lorbeeren holt!vignession

Ehrgeizige Ziele
Yves Clavien, Präsident von Biovalais, prophezeit, dass in fünfzehn Jahren die gesamte Walliser Produktion den Kriterien des biologischen Landbaus entsprechen werde. Heute seien es immerhin schon 20%. Damit steht das Wallis an der Spitze aller Westschweizer Kantone. Das Walliser Roggenbrot mit dem AOP-Label wird mit Getreide gebacken, das ohne Fungizide und Insektizide angebaut wird. Über die Hälfte aller in der Schweiz angebotenen Äpfel mit der Bio-Knospe stammen aus dem Wallis, und ein Großteil der Kräuter, die zu Ricola-Bonbons verarbeitet werden, wachsen ebenfalls in diesem Bergkanton. Und sogar beim Rebensaft ist man vorbildlich: Laut Pierre-Yves Felley, Vorsteher der Walliser Landwirtschaftskammer, produzieren die Walliser Winzer schweizweit am meisten Wein mit dem Label VINATURA, das für integrierte Produktion steht. Ein Zeichen für die grüne Wende seien die zahlreichen Parzellen, die nicht mehr mit Herbiziden behandelt werden. Davon profitieren nicht zuletzt Bienen und Schmetterlinge, die in diesen Rebbergen Nahrung finden.dsc01276

Für Pascal Roduit, Agraringenieur und Besitzer des Großhandels für chemische Erzeugnisse Agribort Phyto in Saxon, liegt die ideale Lösung in der Reduktion der Pflanzenschutzmittel auf globaler Ebene, aber nicht nur. Die Forschung müsse in mehrere Richtungen laufen: Einerseits sollen weniger giftige, möglichst natürliche Produkte auf den Markt kommen, und andererseits widerstandsfähigere Kulturpflanzen gezüchtet werden. Die Chemie sollte seiner Meinung nach erst zum Einsatz kommen, wenn die natürlichen Methoden nicht mehr genügen. (Quelle: www.agrivalais.ch)mont_dor_les_terrasses_web

Deutsche Biowinzer sind sauer
Nicht nur in Frankreich (siehe Blog 46), sondern auch in Deutschland hat der nasskalte Frühling den Weinbauern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die «Neue Zürcher Zeitung» vom 26. September berichtet von Ernteeinbußen von bis zu 70%. Betroffen sind vor allem die Biowinzer, die gegen den massiven Befall des Falschen Mehltaus mit den erlaubten Mitteln (Kupferpräparate, Pflanzenextrakte usw.) nicht mehr ankamen. «Was die deutschen Biowinzer derzeit aber richtig erbost, ist, dass es mit dem seit Jahrzehnten erprobten und von der Biobranche mitentwickelten Mineralstoff Kaliumphosphonat ein wirksames und zudem umweltverträgliches Antipilzmittel gäbe. Kaliumphosphonat würde den Einsatz von Kupfer, notabene einem für Bodenorganismen giftigen Metall, verringern. Doch seitdem die EU-Behörden Kaliumphosphonat 2013 neu als Pflanzenschutzmittel eingestuft haben, ist es für die Biolandwirtschaft tabu. Im konventionellen Weinbau ist es weiterhin erlaubt. Laut Branchenvertretern hat es dieses Jahr, rechtzeitig angewendet, dort viele Schäden verhindert.»falscher-mehltau

Die deutschen Biowinzer fordern darum die Wiederzulassung des wirkungsvollen und «ökologisch unbedenklichen» Wirkstoffs, der auch bei Kartoffeln eingesetzt wird.

Dagegen stellen sich offenbar Italien, Frankreich und Spanien: «Die dortigen Biowinzer wollten die deutschen Konkurrenten, die in der Regel mit mehr Regen und also auch mehr Falschem Mehltau zu kämpfen hätten, etwas ausbremsen, hört man nicht nur hinter vorgehaltener Hand.» Das Bundesamt für Statistik kommentiert die Messungen von Blei, Kupfer, Cadmium und Zink 2016 wie folgt: «Schadstoffe wie Schwermetalle und schwer abbaubare organische Verbindungen reichern sich in Böden an und können dort wichtige Bodenfunktionen hemmen oder über Pflanzen in die Nahrungskette gelangen. In der Erhebungsperiode 2005 bis 2009 war bei 20% der untersuchten Böden der Richtwert für mindestens ein Schwermetall überschritten.» Die EU bezeichnet Kaliumphosphonat als Pestizid, aber ist es wirklich schlimmer als Kupfer?

 

PS: In der Schweiz gibt es zu wenig Bio-Apfelsaft. Seit einigen Jahren ist die Nachfrage so groß, dass die Äpfel zum Vermosten aus dem Ausland bezogen werden müssen.

 

KATASTROPHALES JAHR FÜR INSEKTEN UND BIOBAUERN

pflaumenbaum-hoch-300-flEin Bekannter schenkte uns einen großen Korb Zwetschgen aus dem eigenen Garten. Er habe den Baum nur einmal gespritzt, vor der Blüte, um die Bienen zu schonen. Das ist mir natürlich sympathisch, und ich machte mich sogleich an die Arbeit. Die Freude hielt jedoch nicht lange an, denn die weichen, reifen Früchte waren verwurmt, die übrigen hart mit einem braunen Belag im Innern und einem seltsamen Geruch. Als meine 83jährige Nachbarin Lory die Bescherung sah, rümpfte sie die Nase und meinte: «Zwetschgenfäule! Zu wenig gespritzt.» Na ja, sie ist eben noch von der alten Schule, dachte ich.140922-nabu-wespe-frisst-an-zwetschge-helge-may

Nun stellte ich die Zwetschgen in den Garten, damit wenigstens die Wespen etwas davon hätten. In der herrschenden Sommerhitze wurden sie rasch weich und begannen zu saften. Für das Wespenvolk ein gefundenes Fressen! Doch die blieben aus… Ich sah jedenfalls keine, obwohl sie sich jetzt im Herbst gierig auf reifes Obst stürzen sollten.

Insektenschwund allenthalben
Sogar der «Blick» verkündete vor ein paar Tagen im Internet in fetter Schlagzeile, dieses Jahr gebe es kaum Wespen und Mücken. Als Ursache wurden unter anderem der verregnete, kühle Frühling, der heiße, trockene Sommer und die Pestizide genannt.

schmetterling3Dem «Spiegel» Nr. 37 ist der Rückgang der Falter zwei Seiten wert. «Nie zuvor flatterten weniger Schmetterlinge über Europas Felder und Weiden. Die ausgedehnten Agrarsteppen bieten vielen Faltern keine Heimstatt mehr.» Und es heißt sogar, 2016 könne das schlimmste Jahr in der Geschichte der Falter werden. Allerdings können die Experten im Grunde genommen auch nur Vermutungen anstellen, warum die Schmetterlinge auszusterben drohen. Als Hauptschuldige werden großflächige Agrarsteppen wie die riesigen Maisäcker für die Produktion von Bioenergie genannt, aber auch die allgemeine Überdüngung und natürlich die Pestizide. Dazu ist zu sagen, dass es in der Schweiz keine so riesigen Monokulturen wie in Deutschland gibt, dafür ist es bei uns zu kleinräumig. Dennoch gibt es auch hier deutlich weniger Schmetterlinge als noch vor einigen Jahren. Ob der Klimawandel dabei eine Rolle spielt, wie die deutschen Experten glauben, kann ich nicht beurteilen. Falter gibt es schließlich auch in wesentlich wärmeren Regionen.

Geht’s ganz ohne?
Was die Pestizide betrifft, war dieser Frühling und Sommer für zahlreiche Biobauern ein echter Alptraum. Die chaotischen Wetterverhältnisse dieses Frühlings mit viel Regen, Hagel und Frost, gefolgt von einem ungewöhnlich heißen und trockenen Sommer, war für alle Landwirte und Winzer eine Herausforderung.

In Frankreich waren wir diesen Sommer auch als Konsumenten mit den Auswirkungen konfrontiert. Es wurde wesentlich weniger Gemüse und Obst geerntet als in anderen Jahre. Das ließ die Preise in die Höhe schnellen. Preistreibend wirkten sich zudem die Kosten für die Pflanzenschutzmittel aus: Es musste mehr gespritzt werden. Besonders betroffen waren Kartoffeln , Erdbeeren und Melonen. Für Kartoffeln bezahlte man im Durchschnitt 36,9% mehr als 2015.

marche-d-aix-en-provenceDabei war es für uns Schweizer dennoch immer wieder erstaunlich, wie viel Gemüse und Früchte man am Wochenmarkt unseres Dorfes für ein paar Euro in den Korb packen konnte… Anders sah es dann bei «Satoriz» in der Nähe von Valence aus, der Niederlassung einer Bioladen-Kette, in der man fast alles findet, was das Herz begehrt. Hier kostete das Körbchen Erdbeeren zu 250 Gramm satte 6,90 Euro, ein Kilogramm Bohnen 7 Euro und die Kartoffeln (mit viel Erde dran) 4,10 Euro. Für französische Verhältnisse ist das enorm. Biofrüchte waren diesen August im Schnitt 70% und Biogemüse sogar 78% teurer als die vergleichbaren Produkte aus konventionellem Anbau. Damit war für etliche Kunden die finanzielle Schmerzgrenze überschritten. Und einige Bio-Landwirte sehen sich nun gezwungen, eine andere, «weichere» Lösung zu suchen, um ihre Existenz zu sichern und ihre Prinzipien dennoch nicht gänzlich zu verraten.

Dilemma der Winzer
Bioweine und sogenannte Naturweine sind mehr denn je gefragt. Für den diesjährigen Schweizer Bioweinpreis, den die Zeitschrift «Vinum» gemeinsam mit Bio Suisse vergibt, wurden 140 Muster eingereicht. Das Bundesamt für Statistik beziffert die Ausgaben von Schweizer Privathaushalten für Nahrungsmittel und Getränke anno 2013 auf über 8% der Gesamtausgaben. Und das Bundesamt für Umwelt BAFU lobt die Winzer: «Eine eigentliche Erfolgsgeschichte schreibt der Rebbau. Dort ließ sich der Einsatz von Insektiziden in den vergangenen 20 Jahren deutlich reduzieren. Zum Erfolg führte einerseits, dass die Rebberge als Ökosystem angesehen wurden, und andererseits, dass engagierte Winzer und Verbandsvertreter neuen Konzepten zum Durchbruch verhalfen.»

csm_20071115_04_01_006_a4_2e8f178b0dDie französischen Biowinzer, die das Label behalten wollten, mussten dieses Jahr einen Ernteverlust von 20 bis 40% hinnehmen. Andere entschlossen sich, dennoch Chemie einzusetzen, um die Traubenernte wenigstens teilweise zu retten. Dadurch verlieren sie für ihren Jahrgang 2016 und die betroffenen Parzellen das Bio-Zertifikat… und erhalten es frühestens in drei Jahren zurück. Ein zusätzliches Problem ist, dass die französischen Banken das ökologische Engagement nicht unterstützen. Das macht es noch schwieriger, eine wetterbedingte Flaute zu überleben.

PS: Bayer übernimmt Monsanto für 66 Milliarden Dollar. Der Konzern will durch diese Fusion «dazu beitragen, die stark wachsende Weltbevölkerung auf eine ökologisch nachhaltige Weise ernähren».