… non licet bovi.» Der Auftritt mit lateinischen Sprüchen hat oft einen dünkelhaften Beigeschmack. In diesem Fall trifft er den Nagel jedoch so präzis auf den Kopf, dass ich nicht darauf verzichten mag. Jupiter ist erlaubt, was den Ochsen verboten ist. So war es bei den alten Römern, und so ist es auch heute noch bei uns in Europa.
Insekten auf dem Tisch, aber nicht im Stall
Die Festtage zeichnen sich im allgemeinen durch üppige Tafelfreuden aus. All die Filets im Teig, Fondues chinoises und Gänsebraten machen sich nicht nur auf der Waage bemerkbar, sie wecken bei einigen auch das ökologische Gewissen: Zuviel Fleisch! Unsere Großverteiler haben zwar nichts dagegen, wenn wir uns bei ihnen mit all diesen Köstlichkeiten eindecken, sind jedoch trendbewusst genug, um uns fürs kommende Jahr auf den rechten Weg zu führen. Mit vegetarischen und veganen Angeboten zum Beispiel, aber auch mit Leckerbissen aus der Insektenwelt. In der Westschweizer Coop-Zeitschrift Nr. 52 macht uns der Leiter der Frischprodukte, Roland Frefel, bereits jetzt den Mund wässrig auf die kulinarischen Kreationen aus Heuschrecken, Grillen und Mehlwürmern, die ab Mai 2017 angeboten werden.
Ob die angekündigten Insekten-Burger bei den Konsumenten den erhofften Erfolg bringen, wird sich zeigen. Paradox ist, dass der Verzehr von Insekten den Menschen sowie Hund und Katze erlaubt wird, ja sogar als ökologisch vorbildlich und zukunftsweisend gilt, jedoch laut EU-Recht das Füttern von Nutztieren mit Insekten nach wie vor verboten ist. Das gilt selbst für Arten wie Hühner, Enten, Puten usw., bei denen Insektenlarven, Würmer usw. zum natürlichen Nahrungsspektrum gehören. Das Problem werde überprüft, heißt es. Angesichts der horrenden Preise, zu denen Maden, Schaben & Co. im Versandhandel angeboten werden, kommen allerdings Zweifel auf. Der Vorschlag des Bauernverbandes, wieder wie früher tierische Proteine in Form von Schlacht- und Küchenabfällen der Hotellerie an Nutztiere verfüttern zu dürfen, statt sie aufwendig zu vernichten, scheint mir sinnvoller. (Quelle: NZZ am Sonntag vom 27.11.2016)
Das englische Mirakel
Eine kurze, aber aufregende Meldung ging vor Weihnachten durch die Presse. Der Entomologe Jason Chapman von der Universität Exeter in Cornwall und sein Team haben während zehn Jahren die Wanderung der Insekten am Himmel Südenglands beobachtet. Mit Hilfe von Radar und Fallen, die an kleinen Zeppelinen befestigt waren, kamen sie auf ein erstaunliches Resultat: Pro Jahr ziehen durchschnittlich 3,5 Billionen Insekten wie Zugvögel im Frühling von Süden nach Norden und im Herbst wieder zurück in den Süden. Das Gesamtgewicht dieser Migranten wird auf 3200 Tonnen geschätzt. Obwohl die Zahlen je nach Jahr erheblich schwankten, ist diese Menge dennoch beeindruckend. Offenbar lassen sich die unterschiedlichsten Arten – von der Mücke bis zum Schmetterling – vom Wind in ergiebigere Nahrungsgründe treiben. Wer sich jetzt noch über Insektenschwund beklagt, ist nicht von dieser Welt! Sie sind immer noch da, und offensichtlich in rauhen Mengen.
Ein paar Fragen seien dennoch erlaubt. Ist dieses Phänomen auf den Süden Englands beschränkt? Bislang ist es die erste und einzige derartige Messstation, und über ähnliche Beobachtungen scheint seltsamerweise nichts bekannt zu sein. War es zudem überhaupt möglich, diese Zählungen zuverlässig durchzuführen? Interessant wäre schließlich auch zu wissen, wer diese Studie finanziert hat.
Der deutsche Naturschutzbund (NABU) zum Beispiel wartet mit Zahlen auf, die eine andere Botschaft verkünden: «Allein in Nordrhein-Westfalen ist in den vergangenen 15 Jahren die Biomasse der Fluginsekten um bis zu 80% zurückgegangen. Unsere Beobachtungen sind beängstigend.» Ähnlich pessimistisch äußerte sich der niederländische Toxikologe Dr. Henk Tennekes vor vier Jahren: «In den vergangenen Jahren gab es ein Bienensterben von nie gekannter Dimension, und auch die Schmetterlinge befinden sich auf einem Tiefstand. Über den Rückgang der anderen Insektengruppen wissen wir wenig.»
Dennoch sind wir gespannt, mit welchen Ergebnissen uns Jason Chapman und seine Kollegen in den nächsten Jahren verblüffen werden. Doch zunächst wünsche ich allen ein gutes neues Jahr.