BIO-STADT SION

 

dsc01261Seit elf Jahren wohnen wir nun in Sion bzw. Sitten, wie der einst zweisprachige Hauptort des Kantons Wallis im Rhonetal auf deutsch heißt. Die 30 000-Seelen-Stadt ist unter anderem für ihre Geschichte, ihre Burgruine und die Wehrkirche mit der uralten Schwalbenschwanz-Orgel, den bunten Freitagsmarkt, ihren Fussballklub und seinen Präsidenten sowie das trocken-heiße Klima bekannt. Weinbau herrscht am kunstvoll terrassierten Nordhang vor, in der Ebene wird vor allem Obstbau betrieben. Die Bewohner sind sich deshalb an die morgens Punkt 6 Uhr startenden Helikopter gewöhnt, die ihre Mittel dicht über den Reben versprühen. Obwohl die Kreisel in der Stadt erfreulich «wild» und natürlich bepflanzt sind, hätte ich nicht unbedingt gedacht, dass sich Sion hinsichtlich des Weinbaus als vorbildlichste Bio-Stadt Lorbeeren holt!vignession

Ehrgeizige Ziele
Yves Clavien, Präsident von Biovalais, prophezeit, dass in fünfzehn Jahren die gesamte Walliser Produktion den Kriterien des biologischen Landbaus entsprechen werde. Heute seien es immerhin schon 20%. Damit steht das Wallis an der Spitze aller Westschweizer Kantone. Das Walliser Roggenbrot mit dem AOP-Label wird mit Getreide gebacken, das ohne Fungizide und Insektizide angebaut wird. Über die Hälfte aller in der Schweiz angebotenen Äpfel mit der Bio-Knospe stammen aus dem Wallis, und ein Großteil der Kräuter, die zu Ricola-Bonbons verarbeitet werden, wachsen ebenfalls in diesem Bergkanton. Und sogar beim Rebensaft ist man vorbildlich: Laut Pierre-Yves Felley, Vorsteher der Walliser Landwirtschaftskammer, produzieren die Walliser Winzer schweizweit am meisten Wein mit dem Label VINATURA, das für integrierte Produktion steht. Ein Zeichen für die grüne Wende seien die zahlreichen Parzellen, die nicht mehr mit Herbiziden behandelt werden. Davon profitieren nicht zuletzt Bienen und Schmetterlinge, die in diesen Rebbergen Nahrung finden.dsc01276

Für Pascal Roduit, Agraringenieur und Besitzer des Großhandels für chemische Erzeugnisse Agribort Phyto in Saxon, liegt die ideale Lösung in der Reduktion der Pflanzenschutzmittel auf globaler Ebene, aber nicht nur. Die Forschung müsse in mehrere Richtungen laufen: Einerseits sollen weniger giftige, möglichst natürliche Produkte auf den Markt kommen, und andererseits widerstandsfähigere Kulturpflanzen gezüchtet werden. Die Chemie sollte seiner Meinung nach erst zum Einsatz kommen, wenn die natürlichen Methoden nicht mehr genügen. (Quelle: www.agrivalais.ch)mont_dor_les_terrasses_web

Deutsche Biowinzer sind sauer
Nicht nur in Frankreich (siehe Blog 46), sondern auch in Deutschland hat der nasskalte Frühling den Weinbauern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die «Neue Zürcher Zeitung» vom 26. September berichtet von Ernteeinbußen von bis zu 70%. Betroffen sind vor allem die Biowinzer, die gegen den massiven Befall des Falschen Mehltaus mit den erlaubten Mitteln (Kupferpräparate, Pflanzenextrakte usw.) nicht mehr ankamen. «Was die deutschen Biowinzer derzeit aber richtig erbost, ist, dass es mit dem seit Jahrzehnten erprobten und von der Biobranche mitentwickelten Mineralstoff Kaliumphosphonat ein wirksames und zudem umweltverträgliches Antipilzmittel gäbe. Kaliumphosphonat würde den Einsatz von Kupfer, notabene einem für Bodenorganismen giftigen Metall, verringern. Doch seitdem die EU-Behörden Kaliumphosphonat 2013 neu als Pflanzenschutzmittel eingestuft haben, ist es für die Biolandwirtschaft tabu. Im konventionellen Weinbau ist es weiterhin erlaubt. Laut Branchenvertretern hat es dieses Jahr, rechtzeitig angewendet, dort viele Schäden verhindert.»falscher-mehltau

Die deutschen Biowinzer fordern darum die Wiederzulassung des wirkungsvollen und «ökologisch unbedenklichen» Wirkstoffs, der auch bei Kartoffeln eingesetzt wird.

Dagegen stellen sich offenbar Italien, Frankreich und Spanien: «Die dortigen Biowinzer wollten die deutschen Konkurrenten, die in der Regel mit mehr Regen und also auch mehr Falschem Mehltau zu kämpfen hätten, etwas ausbremsen, hört man nicht nur hinter vorgehaltener Hand.» Das Bundesamt für Statistik kommentiert die Messungen von Blei, Kupfer, Cadmium und Zink 2016 wie folgt: «Schadstoffe wie Schwermetalle und schwer abbaubare organische Verbindungen reichern sich in Böden an und können dort wichtige Bodenfunktionen hemmen oder über Pflanzen in die Nahrungskette gelangen. In der Erhebungsperiode 2005 bis 2009 war bei 20% der untersuchten Böden der Richtwert für mindestens ein Schwermetall überschritten.» Die EU bezeichnet Kaliumphosphonat als Pestizid, aber ist es wirklich schlimmer als Kupfer?

 

PS: In der Schweiz gibt es zu wenig Bio-Apfelsaft. Seit einigen Jahren ist die Nachfrage so groß, dass die Äpfel zum Vermosten aus dem Ausland bezogen werden müssen.

 

KATASTROPHALES JAHR FÜR INSEKTEN UND BIOBAUERN

pflaumenbaum-hoch-300-flEin Bekannter schenkte uns einen großen Korb Zwetschgen aus dem eigenen Garten. Er habe den Baum nur einmal gespritzt, vor der Blüte, um die Bienen zu schonen. Das ist mir natürlich sympathisch, und ich machte mich sogleich an die Arbeit. Die Freude hielt jedoch nicht lange an, denn die weichen, reifen Früchte waren verwurmt, die übrigen hart mit einem braunen Belag im Innern und einem seltsamen Geruch. Als meine 83jährige Nachbarin Lory die Bescherung sah, rümpfte sie die Nase und meinte: «Zwetschgenfäule! Zu wenig gespritzt.» Na ja, sie ist eben noch von der alten Schule, dachte ich.140922-nabu-wespe-frisst-an-zwetschge-helge-may

Nun stellte ich die Zwetschgen in den Garten, damit wenigstens die Wespen etwas davon hätten. In der herrschenden Sommerhitze wurden sie rasch weich und begannen zu saften. Für das Wespenvolk ein gefundenes Fressen! Doch die blieben aus… Ich sah jedenfalls keine, obwohl sie sich jetzt im Herbst gierig auf reifes Obst stürzen sollten.

Insektenschwund allenthalben
Sogar der «Blick» verkündete vor ein paar Tagen im Internet in fetter Schlagzeile, dieses Jahr gebe es kaum Wespen und Mücken. Als Ursache wurden unter anderem der verregnete, kühle Frühling, der heiße, trockene Sommer und die Pestizide genannt.

schmetterling3Dem «Spiegel» Nr. 37 ist der Rückgang der Falter zwei Seiten wert. «Nie zuvor flatterten weniger Schmetterlinge über Europas Felder und Weiden. Die ausgedehnten Agrarsteppen bieten vielen Faltern keine Heimstatt mehr.» Und es heißt sogar, 2016 könne das schlimmste Jahr in der Geschichte der Falter werden. Allerdings können die Experten im Grunde genommen auch nur Vermutungen anstellen, warum die Schmetterlinge auszusterben drohen. Als Hauptschuldige werden großflächige Agrarsteppen wie die riesigen Maisäcker für die Produktion von Bioenergie genannt, aber auch die allgemeine Überdüngung und natürlich die Pestizide. Dazu ist zu sagen, dass es in der Schweiz keine so riesigen Monokulturen wie in Deutschland gibt, dafür ist es bei uns zu kleinräumig. Dennoch gibt es auch hier deutlich weniger Schmetterlinge als noch vor einigen Jahren. Ob der Klimawandel dabei eine Rolle spielt, wie die deutschen Experten glauben, kann ich nicht beurteilen. Falter gibt es schließlich auch in wesentlich wärmeren Regionen.

Geht’s ganz ohne?
Was die Pestizide betrifft, war dieser Frühling und Sommer für zahlreiche Biobauern ein echter Alptraum. Die chaotischen Wetterverhältnisse dieses Frühlings mit viel Regen, Hagel und Frost, gefolgt von einem ungewöhnlich heißen und trockenen Sommer, war für alle Landwirte und Winzer eine Herausforderung.

In Frankreich waren wir diesen Sommer auch als Konsumenten mit den Auswirkungen konfrontiert. Es wurde wesentlich weniger Gemüse und Obst geerntet als in anderen Jahre. Das ließ die Preise in die Höhe schnellen. Preistreibend wirkten sich zudem die Kosten für die Pflanzenschutzmittel aus: Es musste mehr gespritzt werden. Besonders betroffen waren Kartoffeln , Erdbeeren und Melonen. Für Kartoffeln bezahlte man im Durchschnitt 36,9% mehr als 2015.

marche-d-aix-en-provenceDabei war es für uns Schweizer dennoch immer wieder erstaunlich, wie viel Gemüse und Früchte man am Wochenmarkt unseres Dorfes für ein paar Euro in den Korb packen konnte… Anders sah es dann bei «Satoriz» in der Nähe von Valence aus, der Niederlassung einer Bioladen-Kette, in der man fast alles findet, was das Herz begehrt. Hier kostete das Körbchen Erdbeeren zu 250 Gramm satte 6,90 Euro, ein Kilogramm Bohnen 7 Euro und die Kartoffeln (mit viel Erde dran) 4,10 Euro. Für französische Verhältnisse ist das enorm. Biofrüchte waren diesen August im Schnitt 70% und Biogemüse sogar 78% teurer als die vergleichbaren Produkte aus konventionellem Anbau. Damit war für etliche Kunden die finanzielle Schmerzgrenze überschritten. Und einige Bio-Landwirte sehen sich nun gezwungen, eine andere, «weichere» Lösung zu suchen, um ihre Existenz zu sichern und ihre Prinzipien dennoch nicht gänzlich zu verraten.

Dilemma der Winzer
Bioweine und sogenannte Naturweine sind mehr denn je gefragt. Für den diesjährigen Schweizer Bioweinpreis, den die Zeitschrift «Vinum» gemeinsam mit Bio Suisse vergibt, wurden 140 Muster eingereicht. Das Bundesamt für Statistik beziffert die Ausgaben von Schweizer Privathaushalten für Nahrungsmittel und Getränke anno 2013 auf über 8% der Gesamtausgaben. Und das Bundesamt für Umwelt BAFU lobt die Winzer: «Eine eigentliche Erfolgsgeschichte schreibt der Rebbau. Dort ließ sich der Einsatz von Insektiziden in den vergangenen 20 Jahren deutlich reduzieren. Zum Erfolg führte einerseits, dass die Rebberge als Ökosystem angesehen wurden, und andererseits, dass engagierte Winzer und Verbandsvertreter neuen Konzepten zum Durchbruch verhalfen.»

csm_20071115_04_01_006_a4_2e8f178b0dDie französischen Biowinzer, die das Label behalten wollten, mussten dieses Jahr einen Ernteverlust von 20 bis 40% hinnehmen. Andere entschlossen sich, dennoch Chemie einzusetzen, um die Traubenernte wenigstens teilweise zu retten. Dadurch verlieren sie für ihren Jahrgang 2016 und die betroffenen Parzellen das Bio-Zertifikat… und erhalten es frühestens in drei Jahren zurück. Ein zusätzliches Problem ist, dass die französischen Banken das ökologische Engagement nicht unterstützen. Das macht es noch schwieriger, eine wetterbedingte Flaute zu überleben.

PS: Bayer übernimmt Monsanto für 66 Milliarden Dollar. Der Konzern will durch diese Fusion «dazu beitragen, die stark wachsende Weltbevölkerung auf eine ökologisch nachhaltige Weise ernähren».

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

BIENENFEST KONTRA KEROSIN

 

dsc01252Zuerst die gute Nachricht: Im Kanton Wallis ist die Imkerei im Aufwind, das Interesse der Jungen an der Bienenzucht ist in den letzten Jahren gestiegen. Die Organisatoren des Bienenfests «L’Abeille en fête», das vom 1. bis 4. September in Martigny stattfand, sind mehr als zufrieden. Schulklassen, Familien mit Kindern, aber auch ältere Semester begutachteten die über siebzig Stände mit Produkten aus der «Bienenwerkstatt» (Honig, Wachs, Propolis…), degustierten und kauften, machten sich bei den Fachleuten schlau, staunten, spielten, besuchten Vorträge, begutachteten die kunstvoll bemalten Bienenhäuschen und tauchten mit dem Film «Apis Mellifera» in eine Welt ein, die selbst gestandene Imkerinnen und Imker so noch nie gesehen haben.dsc01251

Bienen filmen in der Küche

Jean-Baptiste Moulin war Förster, ist Multimedienkünstler (siehe www.videalp.com) und imkert seit fünfzehn Jahren. Seinen ersten Film über Bienen drehte er 2003. 2006 folgte ein zweiter über die Ausbildung zum Bienenzüchter, 2010 der dritte über die Herstellung der diversen Produkte. Das geheimnisvolle Leben und Wirken dieser Insekten fasziniert ihn nach wie vor. Dieses Thema sei unerschöpflich, verlange jedoch eine Menge Geduld. In seinem neusten, 25 Minuten dauernden Epos rückt er seinen Pfleglingen noch näher auf den Leib, zeigt in Makroaufnahmen anatomische Details, schaut ihnen beim Füttern der Larven und Einbringen des Pollens zu.

promo_jb2Die intimen Einblicke entstanden einerseits in den Bienenstöcken, andererseits in einem kleinen Wohnwagen, den der Walliser mit vier Bienenvölkern bzw. über 120 000 Bienen als Schauspielern ausgestattet hatte. «Man muss erfinderisch sein, denn die Insekten dürfen nicht gestresst werden.» Er ging so weit, Situationen zu inszenieren, auf die die Bienen reagierten. Um ihr Verhalten noch genauer zu studieren und aufzuzeichnen, richtete er einen kleinen Stock mit ungefähr hundert Bienen in der heimischen Küche ein… (der Mann wird wohl Junggeselle sein). Der Aufwand hat sich offensichtlich gelohnt, die Zuschauer sind begeistert, und vielleicht spielt der eine oder die andere mit dem Gedanken, sich noch intensiver mit dem Universum von Apis mellifera zu beschäftigen.

Ungeachtet aller positiven Aspekte, die mit der Bienenzucht verbunden sind, wurden die Probleme auch an der Veranstaltung in Martigny nicht verschwiegen. Zur Bedrohung durch die Varroamilbe, Pestizide und den Kleinen Bienenstockkäfer gesellt sich wahrscheinlich früher oder später die Asiatische Hornisse, die bereits in fast ganz Frankreich verbreitet ist. Das soll jedoch die Jungen und weniger Jungen nicht von der Imkerei abhalten. Dank guter Ausbildung hofft man, auch diese Gefahren wenn nicht auszumerzen, so doch unter Kontrolle zu halten. Mehr unter www.labeilleenfete.chdsc01254

Ein Savoyarde kämpft fürs Insektenwohl

Jacques Fabry ist der festen Überzeugung, dass die Hauptverantwortlichen für den Insektenschwund nicht die Pestizide, sondern die Flugzeuge sind. Seit Jahren beobachtet er den Himmel, der vom rasant zunehmenden Flugverkehr vernebelt werde. Für Bienen wie alle andern Insekten sei dies eine Katastrophe, da sie sich auf ihren Flügen am Licht orientieren. Durch den Ausstoß von Kerosin, vermischt mit Schmutzpartikeln und Wasser, bilde sich ein nahezu permanenter Nebelschleier. Seit Jahren dokumentiert er diese Umweltverschmutzung mit Fotos und Videos, protokolliert seine Beobachtungen, stellt sie in seinen Blog (siehe www.over-blog.com) und klärt die Medien, Behörden und Wissenschaftler über seine Theorie auf. Die von ihm begründete «Avioklimatologie» sollte seiner Ansicht nach längst an Universitäten gelehrt werden.

jacques-fabry-avioclimatologue-estime-que-la-surmortalite-des-abeilles-est-du-a-la-pollution-atmospheriqueDer 64jährige Autodidakt hat die Auswirkungen dieses «Treibhausdachs» vor allem bei den Honigbienen studiert. «Sie sind vollständig desorientiert, torkeln wie betrunken durch die Luft, fliegen sinnlos im Kreis herum, überschlagen sich und finden ihren Stock nicht mehr.» Wegen des verschleierten Himmels nehme zudem die Produktion der Blütenpflanzen ab, was zu Nahrungsmangel der Pollensammler führe. All dies zusammen bedeutet: mehr Krankheiten, höhere Sterberaten, geringere Honigproduktion und schlechtere Bestäubung der Nutzpflanzen. Und wie löst man dieses Problem? «Es muss versucht werden, normale Lichtverhältnisse zu schaffen. Man muss neue Triebwerke entwickeln, die das Wasser auffangen, das sie ausstoßen.» Werde nichts unternommen, ende dies mit Sicherheit in einem weltweiten Desaster. Und bis jetzt habe er leider mit seinen diesbezüglichen Prophezeiungen immer recht gehabt…

PS: Zwei Forscherinnen der Uni Bern haben soeben bekanntgegeben, dass die Pflanzen bei Kunstlicht nachts von Insekten weniger bestäubt werden und selbst weniger Samen produzieren, als wenn sie ausschließlich vom Mond und den Sternen beschienen werden. Ich werde auf diese interessante Studie nächstens zurückkommen!