Bei den Chinesen steht das Jahr 2019 im Zeichen des Schweins und damit des Glücks und des Genusses. Voraussetzungen, die in diesen brenzligen Zeiten höchst willkommen sind. Das gilt nicht zuletzt auch für die rund hundert Bachstelzen, die sich mitten in der Stadt Sitten, an der vielbefahrenen Avenue de la Gare, auf einem Baum versammeln, um dort die Nacht gemeinsam zu verbringen. Sie überwintern seit einigen Jahren im Hauptort des Wallis, was laut dem Ornithologen Jérémy Savioz in dieser Form in der Schweiz ein seltenes, wenn nicht gar einzigartiges Phänomen ist. Die meisten ziehen im Herbst in Richtung Süden, in den Mittelmeerraum oder nach Nordafrika, und kehren im Frühling wieder zu ihrem Geburtsort zurück. In der Regel überwintern sie höchstens vereinzelt nördlich der Alpen. Wer sich wie die Bachstelzen vorwiegend von Insekten und Spinnen ernährt, hat es bereits in den wärmeren Jahreszeiten nicht mehr leicht. Dass sie jedoch bei uns den Winter überleben können, vor allem wenn längere Zeit Schnee liegt, grenzt an ein Wunder.
Im «Handbuch der Vögel Mitteleuropas» ist nachzulesen, dass eine Bachstelze an einem Mittwintertag pro Minute 18 Zuckmücken schnabulieren sollte, um genügend Energie für ein ausgeglichenes Aktivitätsbudget umzusetzen. Ob das ihr stets gelingt, steht auf einem anderen Blatt. Laut Vogelwarte Sempach ergänzen sie ihren Speiseplan notfalls mit Kernen, Beeren und Pflanzenteilen. Sie müssen also flexibel sein, um nicht zu verhungern. Möglicherweise lassen sich die Kulturfolger die Weintrauben schmecken, die dieses Jahr in den Rebbergen im Mittel- und Unterwallis wegen der Überproduktion nicht abgelesen wurden. Und dann gibt’s ja noch die Vogelfreunde, die täglich für Futternachschub sorgen. Schwein gehabt!
«Ich habe sie noch gekannt…
… die artenreichen Blumenwiesen voller Insekten, Käfer und Spinnen. Selbst Glühwürmchen gehörten noch zu meiner Kindheit; ach war das schön…» erinnert sich Kathrin Nigg, Vorstandsmitglied von KAGfreiland, der Organisation, die sich seit 1972 für ein gutes Leben der Nutztiere einsetzt, unter anderem auch für die Weidehaltung von Schweinen. Die Töpferin, die selbst mehrere Esel hält und im Weiler Menzengrüt bei Wiesendangen ZH wohnt, hat sogar in dieser idyllischen Gegend eine ähnlich besorgniserregende Entwicklung verfolgt wie wir im Wallis und in den französischen Cevennen:
«Eigene Beobachtungen in meiner Umgebung beunruhigen mich schon lange. Ich sehe immer weniger Heugümper, Hüslischnägge, Käfer, Insekten und Fledermäuse, auch die Vogelpopulation verändert sich stark. Dieses Jahr hatte es sogar weniger Fliegen und Mücken – wohl auch wegen der Trockenheit –, was dann besonders den Schwalben zu schaffen machte. Sicherlich wirken viele Ursachen zusammen, dass die Insekten sterben: Pestizide, Lichtverschmutzung, fehlendes Futterangebot, intensivierte Landwirtschaft, Steinöden und Mähroboter in Privatgärten, Überbauung und Verlust von Naturlandschaft, wachsender Verkehr und vieles mehr. Alles hängt zusammen.» Mehr über glückliche Esel, ein schönes Bauernhaus und bunte Keramik unter www.niggkeramik.ch
Insektenschwund… auch in den Lehrbüchern
Dass man nur schützen kann, was man kennt, ist eine altbekannte Erkenntnis. Wenn Insekten nicht nur aus der Natur, sondern auch aus den Biologiebüchern verschwinden, wie Julia Koch im Spiegel Nr. 2/2019 schreibt, kann das nachhaltig schlimme Folgen haben. «In den vergangenen Jahrzehnten, das berichteten zwei US-Biologinnen im Fachblatt American Entomologist, hat sich ein beispielloser Insektenschwund vollzogen – nicht nur in Wald und Flur, sondern auch zwischen den Buchdeckeln. Um 75 Prozent schrumpfte in der untersuchten Literatur der Anteil der Seiten, die sich mit Insekten befassen, seit den Lehrbüchern vor 1960 bis zu jenen Werken, die nach der Jahrtausendwende erschienen. Mittlerweile widmen Biobücher den Kerbtieren gerade mal 0,6 Prozent ihres Inhalts. Sie vermitteln damit nicht nur ein Zerrbild der Natur: Insekten sind die artenreichste Tierklasse auf unserem Planeten. Auch rein zahlenmäßig nehmen wir Wirbeltiere uns gegen sie als lächerliche Minderheit aus. Vor allem aber entgehen den Studierenden faszinierende Einblicke in Artenvielfalt und Evolution. (…) Nur wenige brauchen den Menschen als Wirt oder Nahrungsquelle. Der Rest der rund eine Million bekannten Arten käme prima ohne uns klar. Aber wir nicht ohne sie.»
Es stimmt schon, neben den fleißigen Bienen, die zunehmend auch von urbanen Imkern gehalten werden, finden vor allem die «bösen» Invasiven und andere Lästlinge mediale Beachtung. Dank Pro Natura, die das Glühwürmchen zum Tier des Jahres erkoren hat, macht 2019 ausnahmsweise ein positiv besetztes Insekt Schlagzeilen. Der «Große Leuchtkäfer», wie das Glühwürmchen korrekt heißt, ist dank seiner Leuchtkraft von einer romantischen Aura umgeben. Dass es sich hauptsächlich von Schnecken ernährt, die es mit Gift killt, ist wohl den wenigsten bekannt. Mehr Erleuchtung unter www.pronatura.ch.