WILDBIENEN-HOCHBURG ERSCHMATT

Das Wallis kann mit einigen Schweizer Rekorden auftrumpfen. In diesem Kanton ragen am meisten Viertausender in den Himmel, es wird am meisten Wein produziert, am Eingang des Mattertals liegt auf 1145 m der höchste Weinberg, und bei Findeln gab es einst auf 2100 m die höchsten Roggenäcker Europas. Außerdem kann man ob Saas Fee auf dem Allalin das höchste Drehrestaurant und im Mittelallalin die höchste und größte Eisgrotte der Welt besuchen. Der Aletschgletscher in der zentralen Kette wiederum ist mit 23,6 km der längste Gletscher in den Alpen. Doch es gibt noch einen weiteren Walliser Rekord, der Insektenfreunde vermutlich mehr interessieren wird…

Kein Ballenberg-DorfErschmatt_VS_06
Das Bergdorf Erschmatt, das seit 2013 zur Gemeinde Leuk gehört, liegt auf rund 1230 m auf einer Terrasse über dem Tal des Rotten, wie die Rhone im Oberwallis heißt. Heimelige, von der Sonne verbrannte Holzhäuser und Stadel drängen sich um die stattliche weiße Pfarrkirche aus dem 18. Jahrhundert. Der typische geschlossene Dorfkern wurde ins Inventar der schützenswerten Ortsbilder aufgenommen, obwohl der Schweizer Kunstführer etwas sauertöpfisch bemängelt, es seien auch einige neue Häuser gebaut worden. Auch das Bundesinventar der zu erhaltenden Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung ist nicht rundum zufrieden: «Das Dorf ist heute nicht mehr – wie auf älteren Fotos dokumentiert – in eine intensiv bearbeitete, terrassierte Landschaft eingebettet. Zwar stoßen die von Felsbrocken durchsetzten Wieshänge noch immer von drei Seiten an die alten Häusergrenzen, doch sind die meisten Äcker aufgegeben und viele Obstbäume am Absterben, immer mehr Ferienchalets verstellen die Nahumgebungen.» Und der Konservator und Kulturwissenschaftler Werner Bellwald bedauert im Historischen Lexikon der Schweiz 2004: «Die sog. obere und untere Zelg mit Roggenanbau auf ausgedehnten Terrassierungen (ca. 1200–1500 m) und einjähriger Brache (Zweizelgenwirtschaft) wurden bis in die 1960er Jahre kultiviert. Über Jahrzehnte wurde die Berglandwirtschaft von Arbeiterbauern weitergeführt, die ab 1897 einen Teil ihres Auskommens in der Lonza in Gampel, ab 1908 in der Alusuisse in Chippis und ab 1963 v.a. in der Alusuisse in Steg fanden.

13 IMG_1631

Allmählich wurde die Landwirtschaft extensiviert, aus Arbeiter- wurden Hobbybauern. Inzwischen sind die Getreideäcker verbuscht oder werden als Schafweiden genutzt.» Es stimmt, Erschmatt ist kein Ballenberg-Dörfchen, es leben hier Leute von heute, und die Terrassen werden nicht mehr wie zu alten Zeiten beackert und gejätet. Jedenfalls nicht alle, denn der seit 1985 gepflegte und bei Ökotouristen beliebte Sortengarten sowie der 2003 gegründete Verein «Erlebniswelt Roggen» bemühen sich immerhin, die Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten.

 Auf der Sonnenseite ist gut leben
 Wenn Erschmatt mit dem Motto «Leben auf der Sonnenseite» wirbt, ist das keine Übertreibung. Erschmatt 13 Heliodom_erschmatt_Switzerland_28ist in dieser Beziehung privilegiert. So wundert es denn auch nicht, dass das erste Sonnenhaus der Schweiz 2013 in Erschmatt gebaut wurde: Das von einem Franzosen erfundene Heliodome ist vollständig auf den Sonnenlauf ausgerichtet, es soll angenehm warm im Winter, kühl im Sommer und außerdem noch energiesparend sein. Abgesehen von den Hummeln, die ebenfalls zu den Echten Bienen gehören (siehe Blog 12), sind auch Wildbienen wärmeliebend. Dass es ihnen auf den Erschmatter Terrassen besonders behagt, ergab eine 2005 publizierte Studie, die dem Bergdorf ein bemerkenswert gutes Zeugnis ausstellt.

13 IMG_1627Von den in der Schweiz nachgewiesenen 615 Wildbienenarten konnten auf einer Fläche von zwei Quadratkilometern in der Umgebung des Dorfes Erschmatt rund 280 Spezies nachgewiesen werden, also etwa 46 Prozent des gesamten einheimischen Artenspektrums (zum Vergleich: weltweit gibt es rund 30’000 Wildbienenarten!). Die Akademie der Naturwissenschaften meint dazu 2014 in ihrem Bericht Bienen im Fokus von Wissenschaft und Politik: «Die inneralpine Lage sowie das kleinräumige Mosaik verschiedener Landnutzungstypen bieten Wildbienen hervorragende Lebensbedingungen». Möglicherweise ist es für die Zweiflügler sogar positiv, wenn sich ein wenig Wildwuchs breitmacht und der Wald mit den alten Kiefern nicht allzu pingelig herausgeputzt wird. Anzufügen bleibt, dass die solitär lebenden Wildbienen extrem schwierig zu erfassen sind und aufschlussreiche Angaben dazu entsprechend selten sind. Dennoch gibt es Zahlen, die nicht nur die Akademie alarmieren: «Insgesamt sind 12 Prozent der ursprünglich in der Schweiz heimischen Arten verschollen und 45 Prozent stehen auf der Roten Liste.» Wildbienen sind anspruchsvoll, was ihren Lebensraum betrifft, sie benötigen Vielfalt und Kleinräumigkeit. Und die ist selbst in den Bergkantonen nicht mehr überall vorhanden. Ein schweizweites Wildbienen-Monitoring soll 2016 gestartet werden. Man darf auf die Resultate gespannt sein.

HAARIGE BRUMMER IM HOCHGEBIRGE

Der Wiener Entomologe Dr. Bruno Pittioni starb 1952 im besten Mannesalter von 46 Jahren an Lungenkrebs. Der Krieg hatte ihn aus seiner Mittelschullehrer-Laufbahn geworfen, weshalb er nach Sofia auswanderte, wo er am Königlichen Bulgarischen Museum als Assistent tätig war. Später wurde er unter Spionageverdacht eingekerkert und musste sich als Dachdecker und Bauarbeiter durchschlagen. Dr. Bruno Pittioni 2_Seite_1 Dennoch hinterließ er zahlreiche Publikationen und eine umfangreiche Sammlung paläarktischer Hummeln.

Sturmerprobt

Die Feldforschung trieb ihn jeweils frühmorgens aus den Federn: «Schon zeitig des Morgens, wenn Gras und Blüten noch triefend nass sind vom Tau und die Temperatur erst wenige Grade über Null erreicht hat, beginnt der Hummelflug in unseren Hochgebirgen. Schon wiederholt habe ich um 7 Uhr früh in 2000 bis 2500 m Höhe ein reges Hummelleben feststellen können; allerdings nur dann, wenn der in diesen Höhen fast immerdar wehende Wind nicht allzu kalt war. Die Sonne spielt weitaus nicht die Rolle, die man ihr gerne zuzuschreiben gewillt ist. Im Gegenteil, an windstillen Tagen kann auch ein feiner Regen herniederrieseln, und der Flug ist dennoch stärker als an sonnenklaren Tagen, an denen ein eisiger Wind um die Alpengipfel braust. Überhaupt gilt für die Hummeln die Regel, dass nicht so sehr die Windstärke als die Windtemperatur hemmend auf ihre Sammeltätigkeit einwirkt. Doch nicht alle Hummeln zeigen in dieser Beziehung das gleiche Verhalten. Die an das Tundrenklima der Arktis und der Alpen angepasste Alpenhummel Bombus alpinus L. fliegt noch in 3500 m Höhe am Rande der Gletscher im eisigen Sturm, der fast das Fliegen zur Unmöglichkeit macht, von einem Blütenpolster zum anderen, um aus den winzigen Kelchen etwas der Alpenazalee den Nektar zu holen. Eng an den Boden geschmiegt kriecht sie von einer Blüte zur anderen, während der pfeifende Gipfelsturm an ihrem zottig behaarten Körper zerrt und sie mit sich zu reißen droht.» Hummeln sollen sogar auf dem Everest auf 5000 m Höhe gesichtet worden sein.

Auf der Roten ListeAlpenhummel auf Distel

Bis um drei oder vier Uhr nachmittags sammeln die Alpenhummeln Nektar: «Zu späteren Tageszeiten findet man höchst selten noch Hummeln bei der Arbeit; höchstens Männchen können da noch auf den Blüten angetroffen werden, die von dem anstrengenden Suchen nach jungen Weibchen nunmehr in süßem Nichtstun ausruhen.» Bruno Pittionis Beobachtungen könnten den Naturfreunden hilfreich gewesen sein, die dem Aufruf von Pro Natura Graubünden folgten und das grauschwarz und orange gefärbte Insekt in den westlichen und östlichen Zentralalpen sowie an der Alpensüdflanke aufgespürt und im Idealfall sogar fotografiert haben.  Wie viele andere Hummeln steht auch die Alpenhummel auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Doch warum eigentlich? Pestizide kommen im Gebirge sozusagen nie zum Einsatz, und Monokulturen wie im Flachland gibt es hier ebenfalls nicht. Als Grund für den Rückgang wird die Klimaerwärmung vermutet, die ihren Lebensraum vor allem in den Südalpen einschränkt. Sämtliche Hummelarten meiden nämlich prinzipiell die Hitze, wobei ihre Toleranz unterschiedlich ist. Ein internationales Forscherteam hat nun festgestellt, dass sich die Hummeln nicht an die steigenden Temperaturen anpassen, indem sie nordwärts in kühlere Gegenden ziehen und dadurch den Territoriumsverlust ausgleichen. Verhalten sich die Alpenhummeln ebenso unflexibel oder werden sie die durch die Schnee- und Gletscherschmelze gewonnenen Weiden besiedeln? – In den Bergen hat es über Nacht geschneit. Nur die Alpenhummel-Königinnen überleben den Winter, um im nächsten Frühling einen neuen Staat zu gründen. Sie werden auf jeden Fall noch eine Weile unter Beobachtung bleiben.

PFLANZEN MIT SCHLECHTEM RUF

Sie steht direkt vor dem Büro, kräftig, von blühender Gesundheit und zeitweise heftig umschwärmt. Die Buddleja, auch Schmetterlingsstrauch oder Sommerflieder genannt, ist mit ihren violetten, dicht stehenden Blütenrispen eine Augenweide. buddleya_davidii_sommerfliederWikipedia schreibt: «Bienen, Schmetterlingen, Taubenschwänzchen und Hummeln bietet der Schmetterlingsstrauch eine reichhaltige Nektarquelle besonders in der blütenarmen Zeit in Juli und August.» Das hört sich eigentlich gut an. Doch die Buddleja (im Bild mit einem Admiralfalter) hat ungeachtet dieser positiven Qualitäten einen grottenschlechten Ruf.

Politisch korrekt?
Der in zahlreichen Gartenzentren legal verkaufte Sommerflieder hat nämlich das Pech, auf der Liste der Invasoren zu stehen. Er wurde als Zierpflanze aus China importiert und hat sich in Mitteleuropa seit den 1930er Jahren auch außerhalb der Gärten ausgebreitet. Wegen seiner Vorliebe für trockene, steinige Böden und besonnte Standorte besiedelt er mitunter Eisenbahnböschungen, jedoch vor allem Flussufer und Industriebrachen. Am unteren Rhonelauf im Wallis zum Beispiel kenne ich einige Stellen, wo die Buddleja Fuß gefasst hat, was meiner Meinung nach keinen Schaden anrichtet. Genauso wenig ist gegen den Sommerflieder auf der Industriebrache einzuwenden.  Und was die Bahnböschungen betrifft: Werden die nicht regelmäßig gemäht?

Was kennzeichnet  eigentlich diese sogenannten Invasiven oder Neophyten, die mitunter in einem Ton verteufelt werden, die dem ultrarechten Sprachduktus in Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise frappant ähnelt? Waldwissen.net, eine Informations-Site für die Forstpraxis, definiert sie folgendermaßen: «…Lebewesen mit aktuellem Migrationshintergrund. (…) Das ‚Neu‘ bezieht sich etwas willkürlich auf die Zeit seit 1492, weil die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus als Beginn einer bisher unbekannten, weltweiten Mobilität der Menschheit gesehen werden kann, durch die auch sehr viele Organismen in neue Gebiete gelangten.» Auf der Schwarzen Liste der Schweiz stehen gegenwärtig 41 und auf der Watch-List (Beobachtungsliste) 16 Pflanzenarten. Darunter gibt es etliche, die einem als Garten- und Parkgewächse vertraut und harmlos erscheinen wie Kirschlorbeer, Kartoffelrose, Lupine, Topinambur, Essigbaum, Jungfernrebe, Feigenkaktus, Paulownie, Silberakazie (Mimose), Robinie oder Besen-Radmelde.

Wird da nicht aus einer Mücke ein Elefant gemacht, zumindest in einigen Fällen? Bildet der bei Biobauern so beliebte Topinambur in Mitteleuropa wirklich eine Gefahr? Verdrängt er einheimische Pflanzen? Oder um als weiteres Beispiel die Lupinen zu nennen: Sie blühen im Herbst truppweise auf den Wiesen der Mayens de Sion, zur Freude von Wanderern und Chaletbesitzern. Zu dieser Zeit blüht hier sonst nicht mehr viel, so dass sie von Bienen bestimmt ebenso geschätzt werden. Und falls dem Bauern diese «Invasion» nicht passt, hat er das Problem ja mit der Sense rasch behoben…

Ein Anwalt der Invasiven
François Couplan ist ein bei Fribourg wohnender, französisch-schweizerischer Ethnobotaniker, der die Menschen auf den Geschmack wilder, essbarer Pflanzen bringen möchte. Unter anderem mit Kursen in freier Natur im In- und Ausland sowie Büchern zu diesem Thema. Dem gertenschlanken Mittsechziger mit dem federgeschmückten Hut nimmt man seine kulinarische Vorliebe sofort ab. François CouplanIn seinem allerneusten Werk mit dem aufmüpfigen Titel «Aimez vos plantes invasives. Mangez-les!» (Ed. Quae) verteidigt er die verpönten Fremdlinge, die sich bei uns integriert haben, und gibt Tipps zum Zubereiten und Genießen. Ein heißes Eisen, wie er selber in einem Interview mit der Westschweizer Coop-Zeitung sagt. Doch es sei eine Angelegenheit, die ihn schon lange ärgere. Er finde es schade, dass Hass geschürt werde gegen Pflanzen, die auf irgendeine Weise in unsere Gefilde gelangt seien und sich in unserem Lebensraum durchgesetzt haben. Schließlich seien diese Arten nicht selten durch den Menschen eingeführt worden. Er verstehe nicht, wieso darüber entschieden werde, dass die eine Pflanze hier wachsen dürfe und die andere nicht…

PS: Unser Sommerflieder wird im Herbst zurückgestutzt und die verblühten Dolden vorschriftsmäßig entsorgt! Außerdem habe ich fast vergessen zu erwähnen, dass unser Essigbaum momentan ein wunderschönes, leuchtendrotes Blattwerk präsentiert.

WENN SPINNEN NICHT MEHR RICHTIG SPINNEN

Spinnen gehören bekanntlich nicht zu den Sympathieträgern der Tierwelt. Selbst sonst «normale» Menschen können angesichts eines harmlosen, kleinen Achtbeiners ängstlich, ja geradezu hysterisch reagieren. Umso erstaunlicher ist die Bewunderung, welche die über neun Meter hohe Spinne von Louise Bourgois wDie Spinne von Louise Bourgeoiseltweit auslöst. Die Riesenskulptur war 2011 auch in der Schweiz unterwegs – von Basel, Bern und  Zürich bis nach Genf – und erhielt wie überall, wo sie sonst noch stand, einhelliges Lob.

Gebt uns die Spinne zurück!

Für die in Frankreich aufgewachsene Künstlerin (1911–2010) war die langbeinige «Maman» mit ihren 17 Marmoreiern unter dem Leib der Inbegriff der Mütterlichkeit, eine Inkarnation ihrer eigenen Mutter, an der sie sehr hing. Warum aber ausgerechnet eine Spinne? Weil Spinnen ihre Freunde seien, weil ihre Mutter unter anderem klug, geduldig, vernünftig, feinsinnig, unersetzbar, ordentlich und nützlich wie eine Spinne gewesen sei und sich und ihre Tochter verteidigen konnte. Mit der Bedrohung war wohl der Vater gemeint, zu dem Louise Bourgois ein gestörtes Verhältnis hatte. Der Zürcher Spezialist für Kunstrecht Andreas Ritter schwärmt in seinem Artikel im «Weltwoche-Magazin» Nr. 4 von dem «wunderbaren» Kunstwerk am Bürkliplatz. Es sei «zum Shootingstar auf Zeit für Einheimische und Touristen, für Kenner und Laien» geworden: «Selten habe ich ein Werk soviel fotografiert gesehen». Und er wünscht sich inniglich, dass die Stadt den Geldsäckel öffnet, um der Bevölkerung die Spinne zurückzugeben.

Irgendwie erstaunlich ist es schon, dass dieses Monster die Herzen der Menschen im Sturm eroberte. Arachnophobie, die panische Angst vor Spinnen, ist weniger selten, als man denkt. Es soll Menschen geben, die nie ohne ein Insektizid in den Keller oder sonstwo hingehen, wo es Spinnen geben könnte. Es gibt jedoch auch solche, die sich von Spinnen und ihrem seidenen Faden einwickeln lassen und ihnen regelrecht verfallen. Dazu gehört zum Beispiel der Aargauer Biologe Rainer F. Foelix, dessen lange vergriffenes Buch «Biologie der Spinnen» endlich wieder in einer aktualisierten Neuauflage im Handel ist (Chimaira-Verlag). Es hatte mich Ende der 1980er Jahre, als ich mit dem Tierfotografen Max Meier ein Kinderbuch über dieses Thema schrieb, total fasziniert: gut und auch für Laien verständlich geschrieben und trotzdem wissenschaftlich fundiert. Natürlich hat mich auch Max mit seinen Bildern und Geschichten dazu auf den Geschmack gebracht. Noch gut in Erinnerung sind mir seine Erklärungen zu den fahrig gesponnenen, unvollkommenen Netzen: «Sie ist müde und alt geworden. Sie mag nicht mehr wie früher und wird bald sterben. Vielleicht ist sie aber auch schlecht ernährt und hat keine Kraft mehr…»

Schöne Radnetzbauerin, wo bist du?

Diesen Sommer habe ich bewusst nach Radnetzen Ausschau gehalten… und selten genug welche entdeckt. Ob im Wallis oder in Südfrankreich, das Ergebnis war etwa gleich schlecht. Ob es an der Hitze lag? Das kann ich mir nicht vorstellen. 1200px-Wespenspinne-w-
Es gibt zwei strategisch gute Stellen am Ufer des Eyrieux in der Ardèche, wo die schönen Wespenspinnen – sie war 2001 Spinne des Jahres – früher regelmäßig ihre Radnetze zwischen die Felsen klebten. Über die Funktion der für diese Art eingewobenen, charakteristischen Zickzackbänder ist sich die Fachwelt nicht im klaren: Dienen sie zur Tarnung oder Stabilisierung des Netzes? Jedenfalls ist es stabil genug, um damit auch größere und kräftige Insekten wie Heuschrecken, Bienen, Wespen oder Libellen zu erbeuten. Die Wespenspinne gilt in Deutschland und Österreich als «gegenwärtig nicht gefährdet», ja sogar als häufig (in der Schweiz gibt es noch keine Rote Liste für Spinnentiere). Wenn es jedoch an jenen Insekten mangelt, die auf ihrem Speiseplan stehen, ist guter Rat teuer. Möglicherweise wurde sie trotz ihres Wespenkostüms, das Vögeln den Appetit vergällen soll, intensiver bejagt als sonst, nach dem Motto: Vogel friss oder stirb. Ich bin gespannt, ob sie sich in der nächsten Saison wieder an ihren Lieblingsplätzen finden lässt.

SPÄTE EHRE FÜR DEN SPATZ

HaussperlingeDer Haussperling war 2002 der Vogel des Jahres in Deutschland, und 2015 wird ihm diese Ehre auch in der Schweiz zuteil. Das ist ein sicheres Zeichen, dass es mit ihm abwärts geht. Der ehemals nicht allseits beliebte Spatz erhält Seltenheitswert. Daran seien vor allem die fehlenden Nistmöglichkeiten im Siedlungsraum und der Rückgang der Insekten schuld. Die moderne Bauweise mit viel Glas und Beton (Schuhschachtel-Architektur) bietet Vögeln und Fledermäusen kaum mehr Unterschlüpfe. In der Schweiz sollen die Bestände der Haussperlinge in den letzten beiden Jahrzehnten um bis zu 40% zurückgegangen sein.

Füttern verboten!

Außerdem ist es noch gar nicht so lange her, als Vogelwarten bei Wintereinbruch dringend davor warnten, Spatzen zu füttern. Meisen, Rotkehlchen, Hausrotschwanz usw. durften, falls Schnee lag, ans Futterhäuschen, doch der Clochard unter den Vögeln verdiente ihrer Meinung nach diese Zuwendung nicht. Er galt als Konkurrenz der «wertvolleren» Singvögel und war den Ornithologen zu gewöhnlich. Abgesehen davon, dass diese Haltung nicht von großer Tierliebe spricht, erscheint mir die Umsetzung dieser Einteilung in Gut und Böse nicht ganz einfach zu sein. Wikipedia berichtet jedoch auf seiner hervorragenden Seite über den Haussperling von Futterhäuschen, die deutsche Naturschützer in den 1960er Jahren tatsächlich zu diesem Zweck unter den Namen «Spatznit» und «Kontraspatz» anboten! Wie das funktioniert, wird allerdings nicht erklärt…

Inzwischen findet ein Sinneswandel statt. Abgesehen davon, dass der «Dreckspatz» noch immer als unhygienisch und Überträger von diversen Krankheiten gilt, findet man im Internet eine Fülle von Tipps, wie und womit man junge und kranke Spatzen aufpäppeln kann. Zur Rettung der Sperlinge wird empfohlen, Magerwiesen anzusäen und Nistkästen für Höhlenbrüter aufzuhängen.

Kraftnahrung für den Nachwuchs

Die Nestlinge benötigen als Starthilfe möglichst eiweißreiche Nahrung in Form von Raupen und Insekten, die in Städten noch seltener sind als in Gartensiedlungen und bei Bauernhöfen. Später wird es einfacher, da sie vorwiegend vegetarisch von Körnern und mehr oder weniger allem leben, was sie finden und verdaulich ist. Weil sich die unscheinbaren  Anpassungskünstler auch in frisch gesäten Äckern und in Hühnerhöfen bedienten, wurden (und werden?) sie nicht selten mit Gift bekämpft. Erstaunlicherweise wird unsere kurzgeschnittene Wiese – Rasen kann man das beim besten Willen nicht nennen – täglich von einem Trupp Spatzen als Weideplatz aufgesucht. Auch eine Elster gesellt sich oft dazu und pickt eifrig nach Samen, nehme ich einmal an, die von der davorliegenden großen Magerwiese stammen. Und alle, nicht nur Truffo, mögen das Hundefutter aus gepufftem Mais.

Ob das Zufüttern den Spatzen längerfristig über die Runden hilft? Haussperlinge brüten bis zu viermal jährlich und ziehen jeweils fünf bis sechs Junge auf. Um die weit aufgerissenen, immer hungrigen Schnäbel mit Insekten zu füttern, müssen sie eine ansehnliche Menge suchen und erbeuten. Eine Illustration dazu ist das Foto eines Sperlings mit drei fetten, grünen Raupen im Schnabel vor dem Eingang zum Nistkasten (zu finden unter Haussperling Bild). Hoffentlich sind andere Spatzeneltern ebenso erfolgreich!