MEHR BEZAHLEN FÜRS ESSEN!

 

34 Blumenwiese MontorgeVor unserer Haustür steht die Blumenwiese in der Hochblüte. Vor neun Jahren befand sich hier noch ein Weinberg, der aufgelassen wurde. Dann überließ man das unter Naturschutz stehende Land sich selbst. Pionierpflanzen siedelten sich an, die dem Bauern, der die Wiese vorschriftsgemäß zweimal pro Jahr mäht, keine Freude bereiteten – zu viele stachlige Disteln, die dem Vieh im Hals steckenbleiben! Sie verschwinden jedoch allmählich und machen gelbem Klappertopf und Färberwaid, blauem Wiesensalbei, rosa Esparsette und rotem Mohn Platz. Wunderschön. Aber leider trotz dem immensen Pollenangebot sozusagen ohne Besucher aus dem Insektenreich. Der junge Biologe, der den Montorge im Auftrag des Bundes beobachtet, meinte, es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis sich die Insekten wieder einstellten. Sobald die Wiese wieder blühe, gebe es auch wieder Bienen, Hummeln und Schmetterlinge… Sein Wort in Gottes Ohr! Momentan können wir abends die Fenster auch bei Volllicht problemlos sperrangelweit offen lassen.34 Klappertopf

Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben
Vergangene Woche stand in Brüssel wieder einmal das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat auf dem Programm. Man wurde sich nicht einig, fand keine Mehrheit, nicht zuletzt, weil sich Deutschland der Stimme enthielt. Der SPIEGEL macht den Umweltschützern jedoch trotz des Jeins keine großen Hoffnungen: «Beim Streitfall Glyphosat werden die Gegner wohl kaum mehr als einen Pyrrhussieg erringen. Weil die Kommission selbst über die Genehmigung entscheiden darf, wenn sich die EU-Mitgliedsländer nicht einigen können, rechnen Experten damit, dass der Unkrautvernichter am Ende zugelassen wird, zumindest befristet.»

Gut möglich, dass die Deutschen sich vor einer eindeutigen Entscheidung drücken, weil sie diesen Mechanismus kennen. Schließlich will sich der deutsche Chemiekonzern Bayer für 62 Milliarden Dollar Monsanto unter den Nagel reißen, und der macht unter anderem mit Glyphosat («Roundup») sehr viel Geld. So viel, dass es dem amerikanischen Saatgut- und Herbizid-Riesen 500’000 Dollar wert war, um einen Expertenbericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in seinem Sinn und Geist zu beeinflussen. Und es klappte offensichtlich. Wer den Glyphosat-Film in Sat3 gesehen hat, wundert das nicht sonderlich. Erstaunlich ist nur, dass dieser ausgezeichnet recherchierte Film keine stärkere Wirkung zeigt.

Glyphosat-TellerWeniger Glyphosat ist nicht gratis
Erstaunlich auch, weil anscheinend 40% der Agrarflächen unseres nördlichen Nachbarn mit dem hochumstrittenen, aber effizienten und günstigen Pestizid behandelt werden (in der Schweiz wird es nicht viel weniger sein). Der SPIEGEL spricht in diesem Zusammenhang ein Thema an, das häufig vergessengeht: Auf Konsumentenseite müsste man ebenfalls bereit sein, die Konsequenzen des Glyphosatverbots zu tragen, indem man mehr für die Lebensmittel bezahlt. Der Verfasser des Artikels, Philip Bethge, bringt es auf den Punkt: «Ein schneller Klick bei Kampagnenportalen gegen Glyphosat mag ein gutes Gefühl geben. doch das ist zuwenig. Konsequent wäre es, dann im Supermarkt nur noch zu Biofleisch, Biomilch- und Biogetreideprodukten zu greifen, die glyphosatfrei erzeugt werden. Wer gesund leben will, muss Lebensmittel vor allem mehr wertschätzen.» Man kann nicht beides haben, den Föifer onds Weggli, das Kilo Rindshack für € 1,90, wie es in Deutschland möglich ist, und eine heile Bauernwelt.

Isabelle QuartenoudDies gilt, obwohl immer wieder geklagt wird, in der Schweiz bezahlten wir zuviel fürs Fleisch und andere Lebensmittel. Nicht selten sind es anständig Verdiendende des linken Spektrums wie der Walliser Hotelier, ex-SP-Präsident und Kolumnenschreiber Peter Bodenmann, die lamentieren, unsere Nachbarn würden mindestens ebenso nachhaltig und gesund produzieren, jedoch wesentlich weniger verlangen als die hochsubventionierten Schweizer Landwirte. HühnerbungalowIm Glyphosat-Film des 3Sat hat man Einblick in deutsche Landwirtschaftsbetriebe, die nach EU-Kriterien als tier- und umweltfreundlich gelten. Es sind andere Dimensionen als in der kleinen, hügeligen und gebirgigen Schweiz. Mir ist ein Hof wie jener im Kanton Freiburg lieber, der im «Migros-Magazin» (Ausgabe Wallis, 23.5.2016) vorgestellt wurde. In Treyvaux züchten Isabelle und Yves Quartenoud neben Weide-Beef pro Jahr 10’000 Hühner nach strikten Bio-Regeln. Die Hühner laufen tagsüber frei in der grünen Wiese herum, weshalb sie statt nach 37 in der Stallhaltung erst in 80 Tagen schlachtreif sind. Das «glückliche» Poulet kostet selbstverständlich etwas mehr, schmeckt jedoch besser und ist gesünder. Und das Gewissen wird weniger geplagt. Das ist doch auch etwas wert, oder nicht?

 

 

 

 

MEHR NATUR IM WALLISER REBBERG

a2666d_b7d17331caea4cc8b2d35043a4ab5501Noch vor wenigen Jahrzehnten war das Walliser Rhonetal ein einziger Obst- und Gemüsegarten. Inzwischen wurden etliche Hektaren Landwirtschaftsland verbaut. Dennoch werden noch immer Aprikosen, Birnen, Äpfel, Erdbeeren, Spargeln und andere Gemüsesorten im großen Stil angebaut. Nicht zu vergessen die Reben, die in der Rhoneebene und vor allem an den steilen, gegen Süden ausgerichteten Hängen stocken, wie etwa am Mont d’Orge bei Sion, wo die Smaragdeidechse an schroffen Felswänden zwischen Feigenkakteen einen relatif geschützten Lebensraum findet.

Divico: eine intelligente Lösung
5400 Hektaren Land sind im Kanton Wallis mit Reben bepflanzt. Daraus werden pro Jahr rund 500 000 Hektoliter Wein produziert, das sind 40% der Schweizer Produktion. Und es gibt 22 000 Reblandbesitzer, die direkt oder indirekt zur reichen Palette von Walliser Weiß- und Rotweinen beitragen. Neben den bestbekannten drei Rebsorten Fendant (in der restlichen Schweiz als Chasselas oder Gutedel bekannt) sowie Pinot noir (Blauburgunder) und Gamay (für den Dôle) kultivierte man in den letzten Jahrzehnten wieder vermehrt alte einheimische Reben wie Cornalin, Petite Arvine, Humagne rouge und blanche, Heida, Gwäß, Himbertscha u.a.m., aber auch internationale Sorten wie die Syrah und Neukreationen wie Diolinoir, Garanoir und Gamaret für sortenreine Spezialitäten oder Assemblageweine. Die Vielfalt der im Wallis vinifizierten Rebsorten ist einzigartig, und es kommen immer wieder neue hinzu. Divico heißt das jüngste Kind von Agroscope Changins, das anlässlich der Caves ouvertes, der Tage der offenen Weinkeller, am 5., 6. und 7. Mai 2016 vorgestellt wurde.csm_traube-blau-agroscope-800_b4c9f4c620

Die Neuzüchtung scheint ein ökologischer Tausendsassa zu sein: Divico ist gegen Echten und Falschen Mehltau sowie Graufäule resistent und soll außerdem auch noch sehr gesund sein! Die Kreuzung von Gamaret und der deutschen Sorte Bronner (mit wilden Vorfahren aus Amerika und Asien) produziert Substanzen, die für den Mehltau toxisch sind, jedoch Antioxidantien enthalten, die in den Wein und somit früher oder später in den menschlichen Körper gelangen. Agroscope verspricht den Winzern zudem einen potentiellen Publikumsliebling: «Bei hohem Reifegrad verfügt Divico über die nötigen Eigenschaften, um außerordentlich farbreiche Weine mit qualitativ hochstehenden Tanninen zu ergeben. Überdies verfügt diese Züchtung über einen interessanten Geschmackscharakter, der ihr eine verheißungsvolle Zukunft als Sortenwein oder in Assemblagen eröffnet.»

asset-version-5770806283-data_art_2209586Mit unseren Deutschschweizer Freunden, die für Walliser Weine schwärmen, konnten wir den im Herbst 2015 eingekellerten und im Barrique ausgebauten Divico bei der Cave Le Bosset in Leytron degustieren; in den Verkauf gelangt er frühestens im Herbst 2016. Die Tannine waren für mein Empfinden noch sehr präsent, man kann sich jedoch vorstellen, dass dieser charaktervolle Wein eine gute Zukunft hat, wenn er seine kratzbürstige Jugend hinter sich hat. Der Verantwortliche des Weinguts, Christian Blaser, war an der Entwicklung dieser ökologischen Supersorte in Changins beteiligt. Da sie im Vergleich zu anderen Rebsorten sehr wenig gespritzt werden muss, eignet sie sich seiner Meinung nach vor allem für Parzellen, die an Gewässer oder Siedlungen grenzen. Gewässerschutz wird im Weinbau immer wichtiger! Und dass der Divico den Winzern weniger Arbeit macht und dadurch die Produktionskosten niedrig hält, spricht ebenfalls für ihn. In der ganzen Schweiz werden heute 2,2 Hektaren Divico angebaut, ein Viertel davon (5600 m2) im Wallis. Für den Helden der Helvetier gibt’s noch viel Land zu erobern…

11080599_828001230605747_5554740137410431079_oWinzer auf Ökokurs
Mag sein, dass es im Wallis bis vor einigen Jahren noch relativ wenige Biobauern gab. Doch es macht den Anschein, als ob sich auch in dieser Beziehung etwas ändert. Die berühmte Marie-Thérèse Chappaz, die seit rund 35 Jahren in Fully biodynamischen Weinbau betreibt, gehört zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Seit 1995 hat sich auch die Kellerei Dubuis & Rudaz in Sion der Biodynamik verschrieben und bearbeitet heute 17 Hektaren nach der Rudolf-Steiner-Methode. Ein anderes Beispiel sind die «Pfyfoltru»-Weine aus der Gegend von Varen. Das Label mit dem Schmetterling weist auf umweltschonenden Anbau mehrerer Winzer in Zusammenarbeit mit dem Naturpark Pfynwald hin, weil es in diesem Gebiet besonders viele und auch einige seltene Falter geben soll. Diese Weinbauern und einige andere mehr bilden den Humus, auf dem eine junge Generation nachwächst, die beides will: Guten Wein produzieren und die Gesundheit des Terroirs erhalten. Oder wiederherstellen. Ein Beispiel ist die 28jährige Önologin Sandrine Caloz, die den Betrieb ihrer Eltern in Miège sanft, aber bestimmt in die ökologische Richtung steuert. Nun weiden Schafe zwischen den Reben, auf deren Terroir einheimische Flora sprießt.