Vor unserer Haustür steht die Blumenwiese in der Hochblüte. Vor neun Jahren befand sich hier noch ein Weinberg, der aufgelassen wurde. Dann überließ man das unter Naturschutz stehende Land sich selbst. Pionierpflanzen siedelten sich an, die dem Bauern, der die Wiese vorschriftsgemäß zweimal pro Jahr mäht, keine Freude bereiteten – zu viele stachlige Disteln, die dem Vieh im Hals steckenbleiben! Sie verschwinden jedoch allmählich und machen gelbem Klappertopf und Färberwaid, blauem Wiesensalbei, rosa Esparsette und rotem Mohn Platz. Wunderschön. Aber leider trotz dem immensen Pollenangebot sozusagen ohne Besucher aus dem Insektenreich. Der junge Biologe, der den Montorge im Auftrag des Bundes beobachtet, meinte, es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis sich die Insekten wieder einstellten. Sobald die Wiese wieder blühe, gebe es auch wieder Bienen, Hummeln und Schmetterlinge… Sein Wort in Gottes Ohr! Momentan können wir abends die Fenster auch bei Volllicht problemlos sperrangelweit offen lassen.
Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben
Vergangene Woche stand in Brüssel wieder einmal das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat auf dem Programm. Man wurde sich nicht einig, fand keine Mehrheit, nicht zuletzt, weil sich Deutschland der Stimme enthielt. Der SPIEGEL macht den Umweltschützern jedoch trotz des Jeins keine großen Hoffnungen: «Beim Streitfall Glyphosat werden die Gegner wohl kaum mehr als einen Pyrrhussieg erringen. Weil die Kommission selbst über die Genehmigung entscheiden darf, wenn sich die EU-Mitgliedsländer nicht einigen können, rechnen Experten damit, dass der Unkrautvernichter am Ende zugelassen wird, zumindest befristet.»
Gut möglich, dass die Deutschen sich vor einer eindeutigen Entscheidung drücken, weil sie diesen Mechanismus kennen. Schließlich will sich der deutsche Chemiekonzern Bayer für 62 Milliarden Dollar Monsanto unter den Nagel reißen, und der macht unter anderem mit Glyphosat («Roundup») sehr viel Geld. So viel, dass es dem amerikanischen Saatgut- und Herbizid-Riesen 500’000 Dollar wert war, um einen Expertenbericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in seinem Sinn und Geist zu beeinflussen. Und es klappte offensichtlich. Wer den Glyphosat-Film in Sat3 gesehen hat, wundert das nicht sonderlich. Erstaunlich ist nur, dass dieser ausgezeichnet recherchierte Film keine stärkere Wirkung zeigt.
Weniger Glyphosat ist nicht gratis
Erstaunlich auch, weil anscheinend 40% der Agrarflächen unseres nördlichen Nachbarn mit dem hochumstrittenen, aber effizienten und günstigen Pestizid behandelt werden (in der Schweiz wird es nicht viel weniger sein). Der SPIEGEL spricht in diesem Zusammenhang ein Thema an, das häufig vergessengeht: Auf Konsumentenseite müsste man ebenfalls bereit sein, die Konsequenzen des Glyphosatverbots zu tragen, indem man mehr für die Lebensmittel bezahlt. Der Verfasser des Artikels, Philip Bethge, bringt es auf den Punkt: «Ein schneller Klick bei Kampagnenportalen gegen Glyphosat mag ein gutes Gefühl geben. doch das ist zuwenig. Konsequent wäre es, dann im Supermarkt nur noch zu Biofleisch, Biomilch- und Biogetreideprodukten zu greifen, die glyphosatfrei erzeugt werden. Wer gesund leben will, muss Lebensmittel vor allem mehr wertschätzen.» Man kann nicht beides haben, den Föifer onds Weggli, das Kilo Rindshack für € 1,90, wie es in Deutschland möglich ist, und eine heile Bauernwelt.
Dies gilt, obwohl immer wieder geklagt wird, in der Schweiz bezahlten wir zuviel fürs Fleisch und andere Lebensmittel. Nicht selten sind es anständig Verdiendende des linken Spektrums wie der Walliser Hotelier, ex-SP-Präsident und Kolumnenschreiber Peter Bodenmann, die lamentieren, unsere Nachbarn würden mindestens ebenso nachhaltig und gesund produzieren, jedoch wesentlich weniger verlangen als die hochsubventionierten Schweizer Landwirte.
Im Glyphosat-Film des 3Sat hat man Einblick in deutsche Landwirtschaftsbetriebe, die nach EU-Kriterien als tier- und umweltfreundlich gelten. Es sind andere Dimensionen als in der kleinen, hügeligen und gebirgigen Schweiz. Mir ist ein Hof wie jener im Kanton Freiburg lieber, der im «Migros-Magazin» (Ausgabe Wallis, 23.5.2016) vorgestellt wurde. In Treyvaux züchten Isabelle und Yves Quartenoud neben Weide-Beef pro Jahr 10’000 Hühner nach strikten Bio-Regeln. Die Hühner laufen tagsüber frei in der grünen Wiese herum, weshalb sie statt nach 37 in der Stallhaltung erst in 80 Tagen schlachtreif sind. Das «glückliche» Poulet kostet selbstverständlich etwas mehr, schmeckt jedoch besser und ist gesünder. Und das Gewissen wird weniger geplagt. Das ist doch auch etwas wert, oder nicht?