INTEGRATION IM WESPENSTAAT

Blog 22 WEFMilitärflieger donnern von Sitten aus gen Osten, ins Bündnerland. In Davos findet das WEF statt, in Anwesenheit viel schützenswerter Prominenz aus aller Welt. Ein Schwerpunkt ist die Flüchtlingskrise. Auch der Bundesrat ist angereist. Der ganze Bundesrat? Nein, unsere Justizministerin Simonetta Sommaruga zog es vor, in Bern zu bleiben. Ihr Desinteresse hat sie nicht begründet. Irgendwie versteht man sie ja, liest und hört man doch kaum mehr etwas anderes, dafür braucht sie wirklich nicht nach Davos zu fahren…

Geheimnisvolle Thronfolge
Sogar wenn man sich im Wissenschaftsteil des «Spiegels» über den straff organisierten Staat der indischen Papierwespe Ropalidia marginata schlaumachen will, bleibt einem dieses Thema nicht erspart. Das jüngst in Bangalore untersuchte Insekt wird zum «Wunder der Integration, gegen das selbst die deutsche Willkommenskultur verblasst». Das macht neugierig. Der Biologe Raghavendra Gadagkar ist in sein Studienobjekt so vernarrt, dass er sich sogar gern von ihm stechen lässt: «Ich schätze, das ist es, was Liebe mit einem macht.»Blog 22 Gadagkar-2010-CSIR

 Die Journalistin Laura Höflinger hat den graubärtigen Forscher und seine Studenten bei der Arbeit beobachtet. Ihre Experimente und Beobachtungen ergaben, dass der Wespenstaat auf mehreren, sich auf den ersten Blick widersprechenden Prinzipien beruht: strenge Hierarchie und Brutalität einerseits, Kooperation, Kommunikation und Integration andererseits. Die Gemeinschaft ist wie die indische Gesellschaft in Kasten eingeteilt. Zuoberst steht die Königin; es gibt Kämpferinnen, die für Ordnung sorgen, Baumeisterinnen und Nahrungsbeschafferinnen sowie schließlich die faulen Drohnen, die sich nach der Paarung aus dem Staub machen.

Besonders interessant ist die Entdeckung, wie die Nachfolge der Königin funktioniert. Stirbt oder verschwindet die Wespenkönigin, regelt sich die Nachfolge scheinbar wie von selbst: «Wenige Minuten später begann eine bis dahin unauffällige Wespe – aber auch nur eine –, sich aggressiv zu verhalten. Ihr Eierstöcke wuchsen, Tage später legte die neue Königin erste Eier. Keine zweite Anwärterin forderte sie heraus, die Machtübernahme verlief harmonisch – als wüsste jede Wespe im Volk, wer wann an die Reihe kommt.» Zum Machtkampf unter den Königinnen kam es erstaunlicherweise auch nicht, als der Forscher die vorher aus dem Nest entfernte Königin wieder an ihren Platz setzte. Die «Neue» trat umgehend wieder ins zweite Glied zurück und ging erneut ihrer gewohnten Arbeit nach. Die Thronfolge kann jedoch auch weniger friedlich verlaufen, und die Anwärterinnen schrecken gelegentlich nicht vor Rivalinnenmord zurück. Dennoch ist das Rätsel noch nicht gelöst, auf welche Art und Weise die Nachfolgerin bestimmt wird.Blog 22 Rophalia

Kosten-Nutzen-Rechnung
Was den indischen Verhaltensforscher schließlich am brennendsten interessiert, ist der Grund, weshalb so kleine Tiere ein kompliziertes Staatswesen betreiben, sich damit begnügen, ein Leben lang fürs Gemeinwohl zu arbeiten und eine Königin zu füttern, kurz: kooperativ zu sein. Vereinfacht gesagt, fördert die Unterstützung der Verwandtschaft den Fortbestand der Art bzw. der Gene. Diese Organisation hat sich bewährt, sonst wären die Wespen längst verschwunden. Der Nutzen der «selbstlosen» Arbeit ist größer als der Aufwand.

Blog 22 TitelseiteDie Beobachtung, die Raghavendra Gadagkar am meisten verblüffte, stellt jedoch die alleinige Unterstützung der Familienmitglieder in Frage. Laura Höflinger verweist auf die Flüchtlingspolitik der Deutschen, die sich mit jener von Ropalidia marginata nicht messen könne: «Die Papierwespen nehmen junge Tiere aus anderen Staaten in ihre Gemeinschaft auf und vollbringen dabei ein Wunder der Integration: Im Gegenzug für ihre Arbeitskraft stehen den Einwanderern im Wespenstaat alle Türen offen, sei es eine Karriere als Kämpfer oder Sammler – ja sogar der Thron der Königin.» Was man bis jetzt aus Davos erfahren hat, sieht nicht danach aus, als ob sich die Politiker die indischen Papierwespen zum Vorbild nehmen würden. Aber die Wespen, meint der Forscher aus Bangalore, heißen die Fremden auch nur willkommen, wenn sie ihnen nützen. Spannend wäre zudem zu erfahren, wie die Wespen feststellen, dass ihnen die Fremdlinge künftig nützlich sein werden und ob dies denn auch wirklich eintrifft. Da gibt es in Indien und anderswo noch eine Menge zu erforschen.

DIE BLAUÄUGIGE KÖNIGIN

Tulum Ruinen ganz grossJetzt flattern sie wieder ins Haus, die Prospekte und Inserate für Flug- und Schiffsreisen in alle Welt. Und weil es im Wallis seit Tagen regnet, schneit und stürmt, packen wir die Gelegenheit beim Schopf und ziehen nach Tulum. Tulum liegt an der mexikanischen Karibikküste auf der Halbinsel Yucatan, wo die von Palmen umsäumten Strände weiß und der Himmel ständig blau ist. Sollte man meinen. In Wirklichkeit regnet es jetzt auch dort, so dass wir uns die weite Reise sparen und und uns stattdessen getrost an den Computer setzen können.

Die Bienen der Maya
Neben seinen prächtigen Stränden ist Tulum durch seine imposanten Ruinen berühmt geworden. Von der einst bedeutenden ummauerten Handelsstadt ist der größte Teil verschwunden, aber das Schloss und die drei Tempel zeugen vom ehemaligen Glanz. Wikipedia führt uns zu jenem Heiligtum, das uns besonders interessiert: «Neben dem Schloss liegt der Tempel des Herabsteigenden Gottes bzw. Templo del Dios Descendente. Seinen Namen erhielt er von der im Dachfries enthaltenen Figur des herabsteigenden Gottes. Diese in Tulum mehrfach (beispielsweise im Schloss) abgebildete Gottheit wurde mit dem Sonnenuntergang, dem Regen, dem Blitz und der Bienenzucht in Verbindung gebracht und hieß auf Mayathan Ah Mucen Cab (Bienengott).»Melipona

Wobei wir beim Thema dieses Blogs angelangt wären, bei der Biene Melipona beecheii, deren Honig und Wachs von den Maya genutzt und die wie ein Heiligtum verehrt wurde. Melipona besitzt zwar keinen Stachel, kann jedoch kräftig zubeißen. Ihre blauen Augen sind eine weitere Besonderheit der «königlichen Dame», deren Honig auch oder sogar vorwiegend als Heilmittel und zu rituellen Zwecken verwendet wurde.

Weil die schöne Melipona viel weniger Honig als unsere Honigbiene produziert, wurde sie nach der Kolonisierung durch Apis mellifera ersetzt, geriet allmählich in Vergessenheit und wäre schließlich beinahe ausgestorben. Dazu beigetragen haben auch die großflächigen Rodungen des Dschungels. Dass durch ihr Verschwinden die Flora zu verarmen droht, merkte man erst später: Die einheimische Melipona-Biene bestäubt nämlich Pflanzen, die von den dortigen, inzwischen «afrikanisierten» Honigbienen nicht frequentiert werden.Melipona Honig gewinnen

Hilfe aus dem Westen
Zur Rettung der stachellosen Bienen und ihrer Wirtspflanzen wurden mehrere Aktionen gestartet. Ein Westschweizer Paar, das auf Tulum ein Hotel betreibt und das Imkern als Hobby pflegt, begeisterte sich für die Maya-Biene und gründete 2013 eine Stiftung, die Fondation Melipona maya. Man will die Produktion steigern und hat die ideale Abnehmerin in Frankreich gefunden. 1982 gründete Catherine Flurin mit ihrem Mann Philippe Ballot ihr Bienen-Unternehmen in den Pyrenäen. Sie gehörten zu den ersten Bio-Imkern und nahmen sich vor, «die Bienen als ein echtes kleines, über hundert Millionen Jahre altes Volk zu respektieren» und vor allem keine Chemie einzusetzen. Als Arzttochter interessierte sich Catherine schon bald für den therapeutischen Aspekt von Produkten wie Honig, Propolis und Gelée royale, und die Firma Ballot-Flurin begann Anfang der 1990er Jahre mit der Produktion ihrer Linie DOUCE. Der Erfolg stellte sich rasch ein, und heute beschäftigt der Betrieb fünfzig Angestellte. Und seit 2014 wird mit Honig aus Mexiko die Kosmetiklinie Melipona erzeugt. Sie wird von den Kundinnen geschätzt, da die Haut nach dem Eincremen aussieht, «als sei sie mit Pailletten bedeckt». Den Nachfahren der Maya, die mit der Imkerei der blauäugigen Schönheit betraut sind, kommt der finanzielle Zustupf entgegen, vor allem auch, weil der Zeitaufwand bescheiden ist. Mehr, auch über das etwas kuriose Bienenyoga, unter www.ballot-flurin.com

Ein weiteres Projekt zur Wiederaufforstung der tropischen Wälder Amerikas und zur Förderung der stachellosen Bienen läuft schon länger unter dem Namen PROMABOS in El Salvador. Seit 2003 werden auf Gelände, das Bienenzüchtern gehört, gezielt Bäume und Sträucher angepflanzt, die von Melipona beecheii besucht werden. Mehr unter www.apimondiafoundation.org.

PS: Wer sich für den Sinn und Zweck von Farben und Mustern im Tierreich interessiert, ist mit dem kürzlich in Neuauflage im NZZ-Verlag erschienenen Bildband «Design by Nature – Warum die Tiere so aussehen, wie sie aussehen» gut bedient. Für den Text und die Illustrationen zeichnet Otmar Bucher verantwortlich, der ehemalige Chefredaktor des «schlauen Schüler-Magazins» SPICK, für das ich die Ehre und das Vergnügen hatte, Artikel zu schreiben.

DIE TRÜFFELFLIEGE IM AUFWIND

Der Jahresbeginn ist die hohe Zeit der Propheten. Sie drohen uns mit Wespen-, Stechmücken- und Zeckenplagen. Die außergewöhnlich warmen Wintertemperaturen seien vor allem für Exoten wie die Asiatische Tigermücke oder die Buschmücke ideal. So der «Spiegel», der «Blick» und viele andere. Genau das Gegenteil erfahren wir in der «Welt» vom 13. Januar 2012: Dort beruhigt die Sprecherin des deutschen Naturschutzbunds: «Landläufig geht man davon aus, dass auf einen warmen Winter eine große Mückenplage im Sommer folgt. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Die warmen Temperaturen im Winter schaden den Mücken.» Die Eier und Larven würden eher verschimmeln als in kalten Wintern.

Trüffel politisch korrekter als Nüsse?
Auch die Weihnachtsnummer des «Spiegel» macht uns das Leben nicht leichter. Man wird darüber aufgeklärt, auf welche Speisen und Getränke man verzichten sollte, falls man sich politisch korrekt ernähren will. Dazu gehören Mandeln und Walnüsse, die wahre Säufer seien. Für eine einzige Mandel brauche es 3,8 Liter, für eine Walnuss 3,7 Liter Wasser. Man höre und staune! Mandelbäume gedeihen nicht nur in Kalifornien, sondern auch vom Wallis bis in die Provence, und dort bevorzugt in steinigen, trockenen Böden. Sie stehen überdies häufig in Weinbergen, die selten oder überhaupt nicht bewässert werden. Was die Baum- oder Walnüsse betrifft, lieben auch sie die Wärme. Und wir haben unter Bäumen, die garantiert nie gegossen wurden, nach dem ausgesprochen trockenen Sommer diesen Herbst zahlreiche große und einwandfreie Walnüsse gesammelt. Woher stammen solche Zahlen? Wer hat die geernteten Mandeln und Walnüsse in aller Welt gezählt, und wer weiß, wie viel Wasser in den Plantagen wieder verdunstet? Nicht nur vor Würsten, Nespresso-Kaffee und Wein aus Israel, sondern auch vor Kräutertee, Äpfeln (sogar in Bio-Qualität!), Wildbret und Hefe wird gewarnt. Man hat es wirklich nicht einfach…

Zu den politisch Unbedenklichen gehört glücklicherweise die Trüffel. Jedenfalls habe ich die in der Erde wachsenden Luxuspilze bis jetzt auf keiner schwarzen Liste entdeckt. Der Süden Frankreichs steckt momentan mitten in der Trüffelsaison. Die kostbare Knolle wird heute nur noch selten mit Schweinen, sondern meist mit Hunden gesucht. Schweine seien zu gierig – oder zu intelligent? – und würden ihren Fund lieber selbst verspeisen, als ihn ihrem Besitzer zu überlassen (was allerdings auch hie und da bei einem Hund vorkommen kann, wenn er die Gelegenheit dazu hat).

Claudine Bayle, die in Montoison in der Drôme Australische Hirtenhunde züchtet, trimmt die Welpen durch spielerisches Training bereits im Alter von sechs Wochen auf den Geschmack. Wichtig sei, das Interesse der Hunde zu wecken, die Trüffelsuche soll für sie ein Spaß sein. Wie ihr das gelingt, bleibt ihr Betriebsgeheimnis. Immerhin verkauft sie einen knapp drei Monate alten Welpen für ungefähr 2000 Euro. «Alle Hunde können Trüffelhunde werden, kein Hund wird jedoch mit dem Instinkt zum Trüffeln geboren.» Wichtig seien Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit, die Nähe zum Menschen und eine gute Dressur.

Kenner können’s mit der Fliege
Erfahrene Trüffelsucher haben neben dem Hund einen weiteren Trumpf in der Hand: Die Trüffelfliege Suillia tuberiperda. Das gelbe, mit seinen kräftigen Borsten nicht besonders attraktive Insekt führt ebenfalls zum Erfolg. Die Fliegenweibchen suchen zur Eiablage eine Stelle, unter der ein Trüffel wächst. Dort kreisen sie prüfend über der Erde, bevor sie ihre Eier legen. Nach dem Schlüpfen kriechen die Maden hinunter, zum Trüffel, in der sie es sich bis zum Schlüpfen wohlsein lassen. Wir hatten vor einigen Jahren das Pech, am Trüffelmarkt vor Weihnachten in Grignan ein für uns Laien äußerlich tadelloses, aber innen vollständig von Larven befallenes Exemplar zu erwerben.Die Knolle hatte kein Vermögen gekostet, aber es wurmte dennoch, und so habe ich die Maden sorgfältig entfernt und den Pilz sauber gewaschen, so dass wir trotzdem einige Gerichte mit seinem legendären Duft parfümieren konnten…

000 Trüffelmania1

In der Schweiz ist die Trüfflerei auf dem besten Weg, ein Volkssport zu werden. Deshalb wächst auch das Interesse an der Trüffelfliege, die den Vorteil hat, keine Kosten und Mühen zu verursachen (als glückliche Besitzerin eines Lagotto Romagnolo weiß ich, wovon ich spreche). Außerdem ist die Gefahr geringer, von Konkurrenten als Trüffelsucher erkannt zu werden. Es gibt schon Passionierte, die mit ihrem Hund nachts mit der Taschenlampe auf die Suche gehen, um ihre Plätze geheimzuhalten. Bei dieser Demonstration fürs Fernsehen ist das offensichtlich nicht der Fall…