FRANKREICH HOLT MÄCHTIG AUF

44 L'Eyrieux_du_pont_de_Saint_Sauveur_de_MontagutWenn wir unseren Schweizer Besuchern  im Eyrieuxtal in der Ardèche vorschlagen, ein Bad im Fluss zu nehmen, reagieren sie meist misstrauisch. Gewiss, das Wasser ist nicht glasklar, und die Steine sind mit Algen überzogen. Aber wie steht’s mit der Reuβ, der Aare, dem Rhein oder der Rhone? Immerhin wird das Wasser des Eyrieux im Sommer zweimal im Monat auf seine Sauberkeit überprüft, und seit 1997 wacht das Syndicat Eyrieux Clair über den Fluss und sein Einzugsgebiet.

44 Einzugsgebiet EyrDazu gehört auch Aufklärungsarbeit bei Schülern und Erwachsenen, Kleingärtnern und Landwirten, Gewerbe und Industrie. Ein Beispiel: Am 16. Oktober finden in unserem Dorf im Rahmen der Fête de la Science 2016 unter dem Motto «Gärtnern ohne Pestizide ist möglich» verschiedene Anlässe mit dem Ziel statt, die Bevölkerung für den Gewässerschutz und die davon profitierenden Tiere zu sensibilisieren. Es sollen sich inzwischen sogar wieder einige Fischotter angesiedelt haben!

44 otterDas war nicht immer so: Noch vor fünfzehn, zwanzig Jahren gehörten Müllhalden sozusagen zum Landschaftsbild. Sie wurden von Zeit zu Zeit einfach angezündet, und dabei floss so einiges in den Fluss, das dort nicht hingehört. Heute stehen in jedem Quartier Container für die getrennte Abfallentsorgung zur Verfügung, und Kläranlagen reinigen das Abwasser. Mehr unter: www.eyrieux-clair.fr/

44 dephy bildNicht bio, aber besser als vorher
Seit 2008 gibt es «Dephy», ein Netzwerk von Landwirtschaftsbetrieben, denen es ein Anliegen ist, möglichst wenig Pestizide einzusetzen. In ganz Frankreich bemühen sich heute 1900 Mitglieder, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf ein Minimum zu reduzieren. Im Süden sind es vor allem Wein- und Obstbauern, die sich von den Dephy-Fachleuten beraten lassen, um ein gutes Gleichgewicht zwischen Ertrag und Umweltschutz zu erreichen. Die meisten wollen zwar den Schritt zum biologischen Landbau nicht machen, suchen aber dennoch nach alternativen Möglichkeiten, mit denen sie und die Konsumenten besser leben können.

44 Dephy-beraterinDephy-Beraterinnen und -Berater begleiten die Landwirte und Winzer, mit denen es das Wetter dieses Jahr nicht besonders gut meinte. Maud Bonnefoux, die elf Weinbauern in der Südardèche berät, betrachtet die Pflanzenschutzmittel als eine Art Medikament, das mit groβem Fingerspitzengefühl eingesetzt werden muss. Um die richtige Dosierung zu finden, schätzt sie mit geübtem Blick die Menge des Blattwerks ein. Auβerdem werden zum Versprühen «hyper-technische» Geräte verwendet, die Millimeterarbeit leisten. Die Winzer sind zufrieden: Sie konnten ihren Pestizidverbrauch immerhin um ein bis zwei Drittel reduzieren. Und sie hoffen selbstverständlich, dass es noch besser wird.

Regional und saisonal
44 Ferme du Pin BesitzerAuf dem Bauernhof Le Pin bei Valence im Rhonetal ist seit acht Jahren Selbstbedienung Trumpf. Auf ihrer hervorragenden Internetsite www.lafermedupin.fr stellen Brigitte und Denis Cortial sich und ihren 4,5 Hektar groβen Garten ausführlich vor. Man erfährt dort, was wann geerntet werden kann, und wie das funktioniert. Beratung für Anfänger und das dazu benötigte Material stehen zur Verfügung; mit rund 30 Sorten ist die Auswahl an Gemüse und Beeren reich; und die Preise sind mehr als anständig, jedenfalls für Schweizer Verhältnisse. Auf Bestellung können zudem auch Hühner aus Freilaufhaltung und Eier gekauft werden.

44 Ferme du Pin KarettenUnd wie wird das alles produziert? Auf ihrer Homepage erklären die Cortails ihre Philosophie und ihre Methode(n) ausführlich. Demnach halten sie sich weitgehend an die Richtlinien der biologischen Landwirtschaft, wollen sich jedoch nicht durch ein Label in ein Korsett zwängen lassen. So wird ausschlieβlich von Hand oder maschinell gejätet, Herbizide und Insektizide werden nicht verwendet. Auch mit Fungiziden ist man zurückhaltend und setzt, falls nötig, nur die auch im Bio-Landbau erlaubte Bordeaux-Brühe auf Kupferbasis ein. Als Dünger kommen zu 95% organische Mittel auf die Felder, und die restlichen 5% Chemie seien für die Konsumenten unbedenklich. Ihr Motto lautet: Wir wollen möglichst natürlich und verantwortungsbewusst produzieren, aber nicht riskieren, die Ernte zu verlieren. Und wir legen groβen Wert auf Qualität und Geschmack.

44 Ferme du Pin WagenIhre Kundschaft dankt diesen Einsatz (sie arbeiten beide rund 70 Stunden pro Woche) mit Treue. Immer mehr Franzosen schätzen es, wenn sie wissen, woher die Nahrungsmittel stammen und wie sie hergestellt wurden. «Lokal» und «saisonal» ist ein Trend, der an Bedeutung gewinnt. Dazu kommt, dass das Selberernten für viele Familien zum Erlebnis wird, das auch den Kindern Spaβ macht. Ein junger Mann bringt es auf den Punkt: «Diese Gemüse haben einen besonderen Wert. Einerseits sind sie besser und gesünder, sie bieten uns jedoch auch die Gelegenheit, die Landwirte unserer Region zu treffen und die lokale Wirtschaft zu unterstützen!»

 

 

 

 

 

 

INSEKTENFALLE KUNSTLICHT

Les OllieresIn unserem Eyrieux-Tal, das zum Schutzgebiet Natura 2000 auserkoren wurde, machen sich die Insekten diesen Sommer noch rarer als in den vergangenen Jahren. In den letzten fünf Wochen habe ich ein einziges junges Grünes Heupferd gesichtet, einige wenige Libellen sowie Tag- und Nachtfalter, die wir heute als Ausnahmeerscheinung bestaunen. Bis heute zeigte sich bei uns noch keine Gottesanbeterin. GottesanbeterinDabei waren sie früher häufig, doch offenbar ist das Nahrungsangebot für diese Insekten, die selbst hauptsächlich Insekten erbeuten, allzu mager. Auch Wespen und Hornissen lassen sich bisher höchst selten blicken, um sich am Schinken auf dem Teller zu bedienen, und die beiden brandmageren Winzlinge von Mauereidechsen scheinen auch auf dem Hungertripp zu sein… Erschreckend daran ist unter anderem, dass man sich an diesen Zustand, der ja auch seine angenehmen Seiten hat, nur allzu rasch gewöhnt. Und wer, wie so viele, auch draußen in der Natur nur noch Augen für das Smartphone hat, nimmt sowieso nicht viel von solchen Veränderungen seiner Umgebung wahr.Grünes Heupferd

Im Dorf soll’s dunkler werden
Dieses Wochenende fand in ganz Frankreich die 26. Ausgabe der Nuit des étoiles, der Nacht der Sterne, statt. Rund vierhundert Veranstaltungen widmeten sich der Astronomie und dem Problem, das die künstlichen Lichtquellen Mensch und Tier bereiten. Eine davon wurde im Nachbardorf Les Ollières-sur-Eyrieux mit einem Vortrag und einer Ausstellung durchgeführt.Strassenlampe jpg

Anlässlich einer Arbeitswoche zu diesem Thema wurde beschlossen, die Lichter in der Gemeinde von diesem Herbst an nachts teilweise zu löschen. Die Bürgermeisterin erklärte diesen Entscheid folgendermaßen: «Es geht nicht darum, in die Steinzeit zurückzukehren, sondern im Gegenteil, mit seiner Zeit zu leben, indem man die Nachttiere und die Gesundheit von uns allen schützt. Außerdem spart die Gemeinde dadurch Geld, was nicht ganz unwichtig ist.» Les Ollières wird nicht die einzige Ortschaft in Frankreich sein, die sich dazu entschlossen hat, der Umwelt zuliebe etwas mehr Dunkelheit zu wagen.

Licht EuropaDie Zahlen zur Lichtverschmutzung sind denn auch beeindruckend, obwohl ich mir kaum vorstellen kann, dass sie sich derart präzis erfassen lässt. So sollen 80% der Menschheit in Gebieten leben, in denen die Nacht durch Kunstlicht beeinflusst ist. Über 99% Europas und Amerikas seien davon betroffen. Der Lichtersmog sei der zweitwichtigste Grund für den Insektenschwund, gleich nach den Pestiziden. Laut einer Hochrechnung werden in Deutschland jede Nacht mindestens eine Milliarde Insekten durch Lichtimmissionen getötet. Obwohl ein Teil davon von Fledermäusen oder Vögeln verzehrt wird, haben Insektenfresser auch in Städten auf längere Sicht bestimmt das Nachsehen.

Kampf um Kirschen und Aprikosen
Das Motto dieses Blogs stimmt nicht immer mit der Wirklichkeit überein: Fast täglich berichten die Medien von Insekten, die sich schneller vermehren, als manchen lieb ist. Dazu gehört die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii), die aus Südostasien eingewandert ist und seit 2009 auch in der Schweiz und Frankreich ihr Unwesen treibt. Bei den Wein- und Obstbauern ist der orangefarbene Zweiflügler mit den knallroten Augen höchst unbeliebt. Er hat die diesjährige Kirschenernte in den französischen Departementen Drôme und Ardèche um rund die Hälfte schrumpfen lassen. Zahlreiche Landwirte geraten dadurch in eine finanzielle Notlage, etliche geben sich geschlagen und fassen einen Berufswechsel ins Auge. Kirschen SuzukiiDazu kommt, dass das zur Bekämpfung der Kirschessigfliege eingesetzte Insektizid Dimethoad in Frankreich seit Februar 2016 verboten ist, obwohl die für Bienen und andere Insekten gefährliche Substanz in anderen EU-Staaten und auch in der Schweiz nach wie vor zugelassen ist. Einige der betroffenen Jungbauern in der Ardèche finden dies ungerecht und beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. Protest! Sie versammelten sich am Samstagmorgen, 30. Juli, vor dem Regierungsgebäude in Privas und versuchten, mit den zuständigen Beamten eine Lösung zu finden. Man versprach ihnen eine finanzielle Entschädigung, konkret ist jedoch noch nichts festgelegt. Den Landwirten reicht das nicht, sie erwarten präzise Vorschläge, wie sie die «Suzuki» bekämpfen können, ohne dafür mehr Arbeit und/oder Geld zu investieren. UnbenanntDenn sie befällt nicht nur Kirschen und Trauben, sondern auch Aprikosen, Pfirsiche und Himbeeren. Wenn es so weitergehe, meint einer, werde es in der Ardèche bald keine Obstproduktion mehr geben. Dann importiere man künftig alles aus dem Ausland…

PS: Zecken sind zwar streng genommen keine Insekten, sondern Milben, und sie haben sich dieses Jahr auch in Südfrankreich extrem vermehrt. Eine davon hat vor ein wenigen Wochen den kleinen Hund eines Nachbarn mit einem Virus infiziert, das in wenigen Tagen zu seinem Tod führte!