EIN RESERVAT FÜR DIE URBIENE

plage-stpierreville-46777Das Gebiet um das Tal des Eyrieux französischen Departement Ardèche, im Osten des Zentralmassivs, die sogenannten Boutières, zieht Menschen an, die das Urtümliche mögen. Keine Golfplätze und 4-Sterne-Hotels mit Spa, dafür Campingplätze, Wildbäche und ausgedehnte Kastenienwälder, in denen Wildschweine hausen. Statt Einkaufsmeilen mit schicken Boutiquen gibt’s kleine Märkte mit Produkten aus der Gegend: Gemüse und Obst, Ziegen- und Schafkäse, Trockenwürste und Honig. Mit etwas Glück lässt sich sogar der kostbare Honig von Bienen finden, die so selten geworden sind, dass man Vereine gründet, um sie zu retten. Etwa auf dem Sonntagsmarkt von Saint-Pierreville, am Stand von Vincent Canova, der auch einige Bioläden beliefert (mehr darüber auf mielduvivarais@gmail.com).

arton978Die Ahnfrau im dunklen Gewand
Apis mellifera mellifera, die Dunkle Europäische Biene, hat die Blütenpflanzen unseres Kontinents bereits vor Millionen Jahren bestäubt und so für deren Verbreitung gesorgt. Der Mensch tauchte erst viel später auf, entdeckte aber ihren Honig als Nahrungquelle vermutlich schon sehr früh. Sie ist dunkel gefärbt, fast schwarz, winterhart, genügsam und langlebig. Auf menschliche Unterstützung ist sie eigentlich nicht angewiesen, sie bringt sich selbst durch, wenn man sie lässt. Ihr Untergang begann Mitte des 19. Jahrhunderts, als man zur Steigerung der Honigproduktion fremde Bienenrassen einkreuzte. Wikipedia: «Das führte zu ihrer Verdrängung in vielen Regionen ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets. Vielerorts besteht reges Interesse an einer Wiedereinbürgerung. In manchen Ländern Europas wie der Schweiz, Frankreich, Belgien, Dänemark, Norwegen, Schweden, Irland, England, Österreich (Tirol), Polen gibt es noch umfangreiche, mehr oder weniger reine Bestände, in Deutschland nur noch in wenigen, meist hochgelegenen Regionen.»signet

In den Boutières wird sie umgangssprachlich Abeille noire genannt, die Schwarze Biene. Fünf Männer und eine Frau setzen sich dafür ein, die gefährdete Einheimische zu fördern und das Wissen über diese Rasse zu verbreiten.

SONY DSCDer Initiator und Präsident des Projekts, Vincent Canova, ist Berufsimker. Er hat den Betrieb seiner Eltern übernommen, die auf ihrem Hof in Gluiras während über vierzig Jahren Honig produzierten, und dies stets mit der Schwarzen Biene. Der großgewachsene Mittdreißiger hat sich zum Ziel gesetzt, der Bienenzucht in der Boutières wieder einen größeren Stellenwert zu verschaffen. Zum Beispiel, indem er sich voll und ganz der Nachhaltigkeit verschreibt, dem Respekt vor seinen Schützlingen, die er so natürlich wie möglich halten und nutzen will. Ihr Lebensrhythmus soll nicht der Produktionssteigerung angepasst werden. Denn immer mehr Ertrag mit Hilfe importierter, degenerierter Zuchtbienen kommt für ihn nicht in Frage. Doch wie stellt sich sein Verein die Alternative dazu vor?

Ruhezonen für fleißige Arbeiterinnen
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Es gibt bereits rund ein Dutzend Vereinigungen in Frankreich und Belgien, die sich für die Rettung von Apis mellifera mellifera einsetzen. Ihr Kürzel FEDCAN steht für Fédération européenne des conservatoires d’abeille noire. Zu diesem Zweck werden Zonen ausgeschieden, die den Urbienen reserviert sind. In den Boutières ist ein Reservat mit einer Kernzone von 6 km und einer Pufferzone von 25 km geplant. Hier sollen sie nach strikten Regeln gehalten werden. Das heißt: keine Transhumanz, natürliche Produktion der Königinnen, strikte biologische Behandlung von Krankheiten und Parasiten, natürliche Schwarmvermehrung und keine Maximierung der Honigproduktion. Außerdem werden die Völker regelmäßig kontrolliert, um die Reinheit der Rasse zu erhalten. Doch damit nicht genug. Man will die Bevölkerung durch Vorträge und Ausstellungen sensibilisieren, Schulen besuchen, pädagogische Lehrmittel herstellen, Feste organisieren, eine Schule für Bienenzucht im Sinne der FEDCAN gründen, die Schwarze Biene für Interessierte besser zugänglich machen und anderes mehr…

thDass das ehrgeizige Projekt nicht nur mit Idealismus verwirklicht werden kann, ist den Initianten bewusst. Sie hoffen auf finanzielle und ideelle Unterstützung durch Menschen, denen die Bienen und eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt am Herzen liegt. Mehr auf der (noch nicht ganz fertigen) Internetsite: www.abeillenoiredesboutieres.fr/

 

 

 

 

AUF DEN HONIG-ROUTEN

 

41 ZiegeDas Dorf mit dem sperrigen Namen Saint-Michel-de-Chabrillanoux liegt in schöner Aussichtslage über dem Eyrieux-Tal in der Ardèche. Es ist bekannt für sein Open-Air-Festival Mitte Juli, das dieses Jahr zum 41. Mal stattfindet, seine mächtige, 1848 gepflanzte Friedens-Ulme und seine zahlreichen alternativ-grünen Bewohner, die hier die Nestwärme von Gleichgesinnten suchen. Und dann gibt es noch eine katholische Kirche und einen protestantischen Temple, die betont weit voneinander entfernt an den Dorfrändern stehen. Anlässlich des Fests fand bei den Katholiken eine Ausstellung mit Fotos der schönsten Dörfer der Ardèche und bei den Protestanten eine zum Thema Bienen statt. Diese Ausstellung war enttäuschend, das neuste Buch des Fotografen hingegen war eine Entdeckung!

41 Platz St-MichelHausfotograf der Bienen
Eric Tourneret, Jahrgang 1965, reist seit über zehn Jahren durch die ganze Welt, um Bienen, Honigsammler und Imker zu fotografieren und zu filmen. Er zählt zu den Prominenten seines Metiers, ist unter anderem für Paris Match, Figaro und Geo tätig, wohnt, wenn er nicht unterwegs ist, mit seiner Familie mitten im Departementshauptort Privas und widmet sich seinen neun Bienenstöcken, die auf einer Wiese am Stadtrand stehen. Im September 2015 ist sein neustes Buch zu diesem Thema mit dem Titel «Les Routes du Miel» erschienen. Es ist ein in jeder Beziehung schwergewichtiges Werk: 352 Seiten mit durchgehend farbigen Fotografien und Texten von ihm und seiner Frau, Sylla de Saint Pierre, sowie von namhaften Experten. Der Preis von 45 Euro ist für dieses 3 Kilogramm schwere, großformatige und großartige Buch bestimmt nicht zu hoch. Es ist unvorstellbar, dass es nicht nächstens in einer deutschen Übersetzung (die ich sehr gerne übernehmen würde!) erscheinen wird.

41 CoverDas Faszinierende an diesem Bildband ist, dass er sich nicht ausschließlich mit den Honigbienen beschäftigt, sondern auch oder sogar vorwiegend mit den Menschen, die sich dem Honig verschrieben haben. Die Reise führt in 23 Länder sowie die Großstädte Paris, New York, London und Berlin. Sie beginnt in China, wo Frauen die Rolle der Bestäuberinnen auf den Obstbaumplantagen übernehmen. Weiter geht’s in die USA, nach Arizona, wo fahrende Imker die Mandelbaumwälder besuchen und wegen der Pestizide bei ihren Bienenvölkern große Verluste in Kauf nehmen müssen. Bei den Pygmäen des Kongos tauchen wir in die so ganz andere Welt der Honigsammler im Urwald ein. Man erfährt nicht nur, wie sie es schaffen, in schwindelerregender Höhe den begehrten Nektar zu gewinnen, sondern nimmt auch an ihrem Familienleben teil. In Indien klettern Angehörige der Kaste der Unberührbaren an Felswänden hoch, wo die asiatische Riesenbiene Apis dorsata Kolonien bildet und sich vehement gegen Räuber wehrt.

Eric Tourneret
Eric Tourneret

Für solche Aufnahmen griff der Fotograf nicht zum Teleobjektiv, sondern schwang sich selbst in die Höhe und wurde ebenfalls heftig attackiert… Seine Frau erinnert sich, dass ihr Eric in Nepal bei strömendem Regen auf 80 Metern über dem Boden in einer Hängeleiter baumelte, umschwärmt von Hunderten von Bienen, und seine Höhenangst vergaß, weil er nur eines im Sinn hatte: dieses atemberaubenden Erlebnis in guten Aufnahmen zu dokumentieren.

Intelligenter als der Mensch
Atemberaubend sind auch die außergewöhnlichen Aufnahmen von Bienen aus ungewohnten Perspektiven. Dank dem unerschrockenen Franzosen erhält man Einblicke, die selbst Bienenkenner überraschen. Ganz abgesehen von den zahlreichen Arten, die den meisten unbekannt sein dürften und die manchmal auf den ersten Blick nicht unbedingt als Bienen erkennbar sind. Ein Beispiel ist die knallgrüne Euglossa hemichlora, eine Art aus Panama, deren Sozialleben an ein Shakespeare-Drama erinnert. Oder die längs schwarz-gelb gestreifte, stachellose Paratrigona ornaticeps, die in Panama in Baumstrünken lebt. Zudem gibt es auch Ameisen, die Honig produzieren (Bild links). 41 Ameisen Dramatische Bilder lieferte der Kampf der Honigbienen gegen die Asiatische Riesenhornisse, einen wahren Goliath, während der Angriff der Varroa-Milbe auf eine Bienenlarve dank dem Makro aus nächster Nähe beobachtet werden kann. Und vieles, sehr vieles mehr…

Eric Tourneret will auch weiterhin die Geheimnisse der Bienen ergründen und seine Mitmenschen mit faszinierenden Fotografien und Berichten überzeugen, dass sich der Einsatz für diese vielfältige Insektengruppe lohnt. Geplant ist ein Film mit noch nie dagewesenen Makro- und Mikroaufnahmen. Und wenn der Sommer zu Ende ist, reist er nach Argentinien und Chile, um seine Begegnungen mit Bienen und Bienenmenschen zu vertiefen. Sie sind sein Credo, sein Lebensinhalt. Seiner Meinung nach verfügen diese magischen Wesen über eine höhere Intelligenz als der Mensch: «Die Bienen produzieren keine Abfälle. Noch besser: Sie konstruieren ihre Materialien selbst und sind außerdem schon viel länger auf der Erde als wir.» Seit mindestens 75 Millionen Jahren, nach der Datierung der ältesten bekannten fossilen Biene zu schließen, die in Bernstein eingebettet im US-Staat New Jersey gefunden worden war: Cretotrigona prisca sammelte übrigens bereits Honig für ihren Nachwuchs.

Eric Tourneret – Sylla de Saint Pierre, Les Routes du Miel, Editions Hozhoni 2015

 

 

 

 

 

 

FERIENDUFT LIEGT IN DER LUFT

40 LacFrankreichs Moral ist sichtlich angeschlagen. Der Fußball-EM-Titel hätte die Stimmung für eine Weile gehoben. Es hat jedoch nicht sollen sein: Der neue Europameister heißt Portugal. Dennoch können nun endlich die großen, langen Sommerferien beginnen. Die Touristen strömen ins Vallée de l’Eyrieux im Departement Ardèche, unsere zweite Heimat, und die Campingplätze füllen sich allmählich. Tagsüber wird es dermaßen heiß, dass man am besten in die Höhe zieht, zur Quelle der Loire, zum Gerbier-de-Jonc und zum Lac d’Issarlès. Hier oben atmet man freier als in den engen, schwülen Tälern. Und wenn die Zeit und/oder die Energie dafür fehlen, gibt’s eine Alternative: Relativ kühl und angenehm ist’s auch im Haus, vor dem Computer…

Claudia et Truffo sur le bisse de Clavau, SionEin Hauch von Gift
Kurz vor der Abfahrt in den Süden machten wir einen Spaziergang auf der Bisse de Clavau über Sion, einer der schönsten und spektakulärsten Wasserleitungen, die durch die Weinberge führen. In den Reben hat man «geläubelt», Triebe aufgebunden und gegen den Echten Mehltau gespritzt. Der braune Bewuchs zwischen den Rebzeilen zeigt, dass auch Herbizide zum Einsatz kommen. Und siehe da: Am Wegesrand steht ein weißer Plastikkanister mit der Aufschrift «Glyphomed». Ein Arbeiter kauert am Boden und besprüht die Gräser und  Kräuter zwischen den Rebstöcken, dicht daneben sind zwei Frauen mit Ausbrechen beschäftigt. Der Sprache nach sind die drei Portugiesen, wie so viele, die im Walliser Weinbau arbeiten. Von Mundschutz, Handschuhen usw. keine Rede. Zu Hause ging’s ins Internet, wo das Bundesamt für Landwirtschaft beim Umgang mit dem Herbizid, das pro Liter 360 Gramm Glyphosat enthält, unter anderem vor der Gefahr ernsthafter Augenschäden warnt und das Tragen von Schutzbrille/Gesichtsschutz empfiehlt. Es sei giftig für Wasserorganismen und und könne in Gewässern längerfristig schädliche Wirkung haben. Ganz harmlos ist das vom BLW als «umweltgefährlich» eingestufte Mittel der Murtener Firma Médol SA also offensichtlich nicht, obwohl der Name «Glyphomed» irgendwie gesund und nach Medizin klingt. Seine Bewilligung läuft bis zum 31.7.2016, die Aufbrauchfrist bis Ende Juli 2017.

Mindestens bis Ende 2017 bleibt Glyphosat nach Beschluss der EU zugelassen (der Monsanto-Bayer-Deal ist ja noch nicht unter Dach und Fach). Die EU-Kommission hat die definitive Entscheidung über die Zukunft des Herbizids nochmals hinausgeschoben und die Europäische Chemikalienagentur ECHA beauftragt, die Risiken zu bewerten. Ist die ECHA, eine der EU unterstellte Behörde, jedoch wirklich unabhängig? Und warum wird, wenn von der künftigen Zulassung von Glyphosat die Rede ist, stets nur erwähnt, dass es im Verdacht steht, Krebs zu erregen? Die eindeutig erwiesenen gravierenden Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt  hingegen scheinen offenbar keine Rolle zu spielen…

40 SionWalliser Pioniere
Wer im Rebberg die unerwünschten Kräuter und Gräser ohne Glyphosat beseitigen will, braucht viel Kreativität und den Willen, Geld, Zeit und Kraft in dieses Projekt zu investieren. Die Stadtgärtnerei unserer Wohngemeinde Sion/Sitten im Kanton Wallis hat sich von dem umstrittenen Herbizid losgesagt und rückt dem Unkraut mit verschiedenen Mitteln zu Leibe. Maschinen, die Dampf, Gas und heißes Wasser versprühen, kommen zum Einsatz. Man setzt biologische Produkte ein, obwohl diese wesentlich kostspieliger sind als Herbizide, die Glyphosat enthalten. Auch das Jäten von Hand, zum Beispiel auf Friedhöfen, ist aufwendig und erfordert entsprechend mehr Personal. Der Einsatz lohne sich jedoch, weil er der Biodiversität zugute komme. Es sprießen wieder Blumen, die schon seit längerem nicht mehr gesehen wurden. Da bezahlt man doch fast wieder gerne seine Steuern…

40 SaillonDie Gemeinde Saillon (siehe meinen Blog vom 27. April) hat ebenfalls die Nase voll von Glyphosat und will eine neue Ära einläuten. Auch hier nimmt das Jäten von Hand nun eine Menge Zeit in Anspruch. Für den Friedhof benötigt man jetzt ein bis zwei Tage statt einem halben Tag mit der Glyphosat-Spritze. Außerdem brauche es Geduld und Fingerspitzengefühl, um der (pingeligen?) Bevölkerung zu erklären, dass diese umweltschonende Methode ein wenig Toleranz erfordert.

Der Gemeindegärtner von Saillon ist ein Tüftler, der mit Mixturen experimentiert, die ebenso wirksam wie biologisch unbedenklich sind. Verschiedene Mischungen von Wasser, Salz und Essig werden momentan getestet. Mit unterschiedlichem Erfolg. Als besonders widerspenstig erweist sich der Ackerschachtelhalm oder Katzenschwanz, der sich sogar von einer heißen Brühe nicht beeindrucken lässt. Und schließlich spielen auch hier die Auswirkungen auf die Gewässer eine Rolle, denn man will ja den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben… Die Pionierarbeit von Sion und Saillon ermuntert auch andere Gemeinden im Kanton Wallis, es mit weniger Gift zu versuchen, obwohl das nicht ganz einfach ist (Quelle: Le Nouvelliste vom 9.7.2016).

40 Mezenc 2PS: Wo noch nicht gemäht wurde, flattern auf der Hochebene rund um den Mont Mézenc (mit 1753 m der höchste Gipfel des Departements Ardèche) momentan Schmetterlinge in allen Farben und Größen – es gibt sie also doch noch!