FERIENDUFT LIEGT IN DER LUFT

40 LacFrankreichs Moral ist sichtlich angeschlagen. Der Fußball-EM-Titel hätte die Stimmung für eine Weile gehoben. Es hat jedoch nicht sollen sein: Der neue Europameister heißt Portugal. Dennoch können nun endlich die großen, langen Sommerferien beginnen. Die Touristen strömen ins Vallée de l’Eyrieux im Departement Ardèche, unsere zweite Heimat, und die Campingplätze füllen sich allmählich. Tagsüber wird es dermaßen heiß, dass man am besten in die Höhe zieht, zur Quelle der Loire, zum Gerbier-de-Jonc und zum Lac d’Issarlès. Hier oben atmet man freier als in den engen, schwülen Tälern. Und wenn die Zeit und/oder die Energie dafür fehlen, gibt’s eine Alternative: Relativ kühl und angenehm ist’s auch im Haus, vor dem Computer…

Claudia et Truffo sur le bisse de Clavau, SionEin Hauch von Gift
Kurz vor der Abfahrt in den Süden machten wir einen Spaziergang auf der Bisse de Clavau über Sion, einer der schönsten und spektakulärsten Wasserleitungen, die durch die Weinberge führen. In den Reben hat man «geläubelt», Triebe aufgebunden und gegen den Echten Mehltau gespritzt. Der braune Bewuchs zwischen den Rebzeilen zeigt, dass auch Herbizide zum Einsatz kommen. Und siehe da: Am Wegesrand steht ein weißer Plastikkanister mit der Aufschrift «Glyphomed». Ein Arbeiter kauert am Boden und besprüht die Gräser und  Kräuter zwischen den Rebstöcken, dicht daneben sind zwei Frauen mit Ausbrechen beschäftigt. Der Sprache nach sind die drei Portugiesen, wie so viele, die im Walliser Weinbau arbeiten. Von Mundschutz, Handschuhen usw. keine Rede. Zu Hause ging’s ins Internet, wo das Bundesamt für Landwirtschaft beim Umgang mit dem Herbizid, das pro Liter 360 Gramm Glyphosat enthält, unter anderem vor der Gefahr ernsthafter Augenschäden warnt und das Tragen von Schutzbrille/Gesichtsschutz empfiehlt. Es sei giftig für Wasserorganismen und und könne in Gewässern längerfristig schädliche Wirkung haben. Ganz harmlos ist das vom BLW als «umweltgefährlich» eingestufte Mittel der Murtener Firma Médol SA also offensichtlich nicht, obwohl der Name «Glyphomed» irgendwie gesund und nach Medizin klingt. Seine Bewilligung läuft bis zum 31.7.2016, die Aufbrauchfrist bis Ende Juli 2017.

Mindestens bis Ende 2017 bleibt Glyphosat nach Beschluss der EU zugelassen (der Monsanto-Bayer-Deal ist ja noch nicht unter Dach und Fach). Die EU-Kommission hat die definitive Entscheidung über die Zukunft des Herbizids nochmals hinausgeschoben und die Europäische Chemikalienagentur ECHA beauftragt, die Risiken zu bewerten. Ist die ECHA, eine der EU unterstellte Behörde, jedoch wirklich unabhängig? Und warum wird, wenn von der künftigen Zulassung von Glyphosat die Rede ist, stets nur erwähnt, dass es im Verdacht steht, Krebs zu erregen? Die eindeutig erwiesenen gravierenden Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt  hingegen scheinen offenbar keine Rolle zu spielen…

40 SionWalliser Pioniere
Wer im Rebberg die unerwünschten Kräuter und Gräser ohne Glyphosat beseitigen will, braucht viel Kreativität und den Willen, Geld, Zeit und Kraft in dieses Projekt zu investieren. Die Stadtgärtnerei unserer Wohngemeinde Sion/Sitten im Kanton Wallis hat sich von dem umstrittenen Herbizid losgesagt und rückt dem Unkraut mit verschiedenen Mitteln zu Leibe. Maschinen, die Dampf, Gas und heißes Wasser versprühen, kommen zum Einsatz. Man setzt biologische Produkte ein, obwohl diese wesentlich kostspieliger sind als Herbizide, die Glyphosat enthalten. Auch das Jäten von Hand, zum Beispiel auf Friedhöfen, ist aufwendig und erfordert entsprechend mehr Personal. Der Einsatz lohne sich jedoch, weil er der Biodiversität zugute komme. Es sprießen wieder Blumen, die schon seit längerem nicht mehr gesehen wurden. Da bezahlt man doch fast wieder gerne seine Steuern…

40 SaillonDie Gemeinde Saillon (siehe meinen Blog vom 27. April) hat ebenfalls die Nase voll von Glyphosat und will eine neue Ära einläuten. Auch hier nimmt das Jäten von Hand nun eine Menge Zeit in Anspruch. Für den Friedhof benötigt man jetzt ein bis zwei Tage statt einem halben Tag mit der Glyphosat-Spritze. Außerdem brauche es Geduld und Fingerspitzengefühl, um der (pingeligen?) Bevölkerung zu erklären, dass diese umweltschonende Methode ein wenig Toleranz erfordert.

Der Gemeindegärtner von Saillon ist ein Tüftler, der mit Mixturen experimentiert, die ebenso wirksam wie biologisch unbedenklich sind. Verschiedene Mischungen von Wasser, Salz und Essig werden momentan getestet. Mit unterschiedlichem Erfolg. Als besonders widerspenstig erweist sich der Ackerschachtelhalm oder Katzenschwanz, der sich sogar von einer heißen Brühe nicht beeindrucken lässt. Und schließlich spielen auch hier die Auswirkungen auf die Gewässer eine Rolle, denn man will ja den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben… Die Pionierarbeit von Sion und Saillon ermuntert auch andere Gemeinden im Kanton Wallis, es mit weniger Gift zu versuchen, obwohl das nicht ganz einfach ist (Quelle: Le Nouvelliste vom 9.7.2016).

40 Mezenc 2PS: Wo noch nicht gemäht wurde, flattern auf der Hochebene rund um den Mont Mézenc (mit 1753 m der höchste Gipfel des Departements Ardèche) momentan Schmetterlinge in allen Farben und Größen – es gibt sie also doch noch!

 

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