Seit elf Jahren wohnen wir nun in Sion bzw. Sitten, wie der einst zweisprachige Hauptort des Kantons Wallis im Rhonetal auf deutsch heißt. Die 30 000-Seelen-Stadt ist unter anderem für ihre Geschichte, ihre Burgruine und die Wehrkirche mit der uralten Schwalbenschwanz-Orgel, den bunten Freitagsmarkt, ihren Fussballklub und seinen Präsidenten sowie das trocken-heiße Klima bekannt. Weinbau herrscht am kunstvoll terrassierten Nordhang vor, in der Ebene wird vor allem Obstbau betrieben. Die Bewohner sind sich deshalb an die morgens Punkt 6 Uhr startenden Helikopter gewöhnt, die ihre Mittel dicht über den Reben versprühen. Obwohl die Kreisel in der Stadt erfreulich «wild» und natürlich bepflanzt sind, hätte ich nicht unbedingt gedacht, dass sich Sion hinsichtlich des Weinbaus als vorbildlichste Bio-Stadt Lorbeeren holt!
Ehrgeizige Ziele
Yves Clavien, Präsident von Biovalais, prophezeit, dass in fünfzehn Jahren die gesamte Walliser Produktion den Kriterien des biologischen Landbaus entsprechen werde. Heute seien es immerhin schon 20%. Damit steht das Wallis an der Spitze aller Westschweizer Kantone. Das Walliser Roggenbrot mit dem AOP-Label wird mit Getreide gebacken, das ohne Fungizide und Insektizide angebaut wird. Über die Hälfte aller in der Schweiz angebotenen Äpfel mit der Bio-Knospe stammen aus dem Wallis, und ein Großteil der Kräuter, die zu Ricola-Bonbons verarbeitet werden, wachsen ebenfalls in diesem Bergkanton. Und sogar beim Rebensaft ist man vorbildlich: Laut Pierre-Yves Felley, Vorsteher der Walliser Landwirtschaftskammer, produzieren die Walliser Winzer schweizweit am meisten Wein mit dem Label VINATURA, das für integrierte Produktion steht. Ein Zeichen für die grüne Wende seien die zahlreichen Parzellen, die nicht mehr mit Herbiziden behandelt werden. Davon profitieren nicht zuletzt Bienen und Schmetterlinge, die in diesen Rebbergen Nahrung finden.
Für Pascal Roduit, Agraringenieur und Besitzer des Großhandels für chemische Erzeugnisse Agribort Phyto in Saxon, liegt die ideale Lösung in der Reduktion der Pflanzenschutzmittel auf globaler Ebene, aber nicht nur. Die Forschung müsse in mehrere Richtungen laufen: Einerseits sollen weniger giftige, möglichst natürliche Produkte auf den Markt kommen, und andererseits widerstandsfähigere Kulturpflanzen gezüchtet werden. Die Chemie sollte seiner Meinung nach erst zum Einsatz kommen, wenn die natürlichen Methoden nicht mehr genügen. (Quelle: www.agrivalais.ch)
Deutsche Biowinzer sind sauer
Nicht nur in Frankreich (siehe Blog 46), sondern auch in Deutschland hat der nasskalte Frühling den Weinbauern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die «Neue Zürcher Zeitung» vom 26. September berichtet von Ernteeinbußen von bis zu 70%. Betroffen sind vor allem die Biowinzer, die gegen den massiven Befall des Falschen Mehltaus mit den erlaubten Mitteln (Kupferpräparate, Pflanzenextrakte usw.) nicht mehr ankamen. «Was die deutschen Biowinzer derzeit aber richtig erbost, ist, dass es mit dem seit Jahrzehnten erprobten und von der Biobranche mitentwickelten Mineralstoff Kaliumphosphonat ein wirksames und zudem umweltverträgliches Antipilzmittel gäbe. Kaliumphosphonat würde den Einsatz von Kupfer, notabene einem für Bodenorganismen giftigen Metall, verringern. Doch seitdem die EU-Behörden Kaliumphosphonat 2013 neu als Pflanzenschutzmittel eingestuft haben, ist es für die Biolandwirtschaft tabu. Im konventionellen Weinbau ist es weiterhin erlaubt. Laut Branchenvertretern hat es dieses Jahr, rechtzeitig angewendet, dort viele Schäden verhindert.»
Die deutschen Biowinzer fordern darum die Wiederzulassung des wirkungsvollen und «ökologisch unbedenklichen» Wirkstoffs, der auch bei Kartoffeln eingesetzt wird.
Dagegen stellen sich offenbar Italien, Frankreich und Spanien: «Die dortigen Biowinzer wollten die deutschen Konkurrenten, die in der Regel mit mehr Regen und also auch mehr Falschem Mehltau zu kämpfen hätten, etwas ausbremsen, hört man nicht nur hinter vorgehaltener Hand.» Das Bundesamt für Statistik kommentiert die Messungen von Blei, Kupfer, Cadmium und Zink 2016 wie folgt: «Schadstoffe wie Schwermetalle und schwer abbaubare organische Verbindungen reichern sich in Böden an und können dort wichtige Bodenfunktionen hemmen oder über Pflanzen in die Nahrungskette gelangen. In der Erhebungsperiode 2005 bis 2009 war bei 20% der untersuchten Böden der Richtwert für mindestens ein Schwermetall überschritten.» Die EU bezeichnet Kaliumphosphonat als Pestizid, aber ist es wirklich schlimmer als Kupfer?
PS: In der Schweiz gibt es zu wenig Bio-Apfelsaft. Seit einigen Jahren ist die Nachfrage so groß, dass die Äpfel zum Vermosten aus dem Ausland bezogen werden müssen.