DIE SANFTMÜTIGEN DUNKLEN


arton978Dass Honig gesund ist, weiß jedes Kind. Wie gesund und heilkräftig er sein kann, entdecke ich jedoch erst neuerdings, weil Robert seit diesem Sommer an einer kleinen, aber perfiden Wunde oberhalb des Knöchels herumdoktert, die einfach nicht richtig heilen will. Der Buchsbaum, an dem er sich verletzt hat, soll ja auch stark giftig sein… Die Reise durchs Internet führte mich zum Honig, der sogar in Arztpraxen und Spitälern zur Wundbehandlung eingesetzt wird. Wunder bewirke der mit Gammastrahlen von Bakterien befreite «Medihoney» zwar nicht, aber er habe seinen Platz in der Schulmedizin erobert. Roberts Bein wird vorläufig noch mit einer schwarzen Salbe verarztet, aber, wer weiß, vielleicht ist es schließlich der gute alte Honig, der zum Guten führt.

Reichhaltiger Nektar
Diesen Sommer lernte ich in dvincent-canovaer Ardèche die Dunkle Biene (Apis mellifera mellifera) kennen und beschrieb diese Begegnung im Blog vom 25. Juli 2016. Der Imker Vincent Canova hat sich dieser urtümlichen Art verschrieben und verkaufte uns neben seinem üblichen Honig ein Glas, das mit einer schwarzen Banderole versehen war mit dem Hinweis, ihn nicht täglich zu genießen, da er etwas ganz Besonderes sei. Vincent gewinnt seinen Honig nicht durch Schleudern, sondern lässt ihn langsam abtropfen. Und der Honig mit diesem Vermerk ist der erste, der aus den Waben fließt. Weil er in direktem Kontakt mit dem Wabendeckel gewesen sei, sei er besonders reich an Inhibin. Diese antibiotische hormonelle Substanz deponiert die Arbeiterbiene auf der Oberfläche des Honigs, bevor sie die Wabe deckelt. Deshalb könne dieser Nektar auch zu anderen Zwecken als zum Süßen des Tees verwendet werden. «Es ist also eine Art Medikament», frage ich Vincent. Worauf er nickt, jedoch schweigt. Denn als Imker darf er grundsätzlich sein Produkt nicht als Heilmittel anbieten.

Ein ausgesprochen kurioses Rezept stammt übrigens aus dem alten China. Man ernährte einen Mann so lange ausschließlich mit Honig, bis er starb. Dann legte man ihn in einen mit Honig gefüllten Behälter, in dem sich die Leiche mit der Zeit auflöste (obwohl Blütenhonig eigentlich als Mittel für die Mumifizierung gilt). Die so entstandene Mixtur galt als besonders heilkräftig und war entsprechend teuer.

Imkern vor einem Jahrhundert
titelseit-liv-abeilleEin paar Tage später erhielt ich von Sylvette, die mit ihren Freundinnen im Sommer hin und wieder einen Brocante-Stand betreibt, ein Büchlein über Bienen und Bienenzucht aus dem Jahr 1922. Der Autor E. Alphandéry war seinerzeit Präsident des Imkervereins des Rhonetals und Direktor der Zeitschrift «La Gazette apicole». Das Buch ist also vor fast einem Jahrhundert erschienen, und das sieht man ihm auch an. Zum Einstieg kommen die französischen Dichter zum Wort, die diese geheimnisvollen Insekten in schwärmerischen Versen besingen. Dann geht’s jedoch in medias res mit der Anatomie, der Entwicklung vom Ei über die Larve zur Arbeiterin, Drohne oder Königin. Im Mittelpunkt steht die Dunkle Biene, die damals noch allgemein verbreitet war und hier deshalb als Abeille française bezeichnet wird. Es wurden jedoch auch Kreuzungen und andere Rassen gehalten.

Auf 300 Seiten fand das Imkerherz vermutlich alles, was es begehrte. Die unterschiedlichsten Formen von Kästen und Körben werden vorgestellt, sämtliche Geräte, die Arbeiten in allen Monaten, Krankheiten und Feinde der Schützlinge, Statistiken aus allen europäischen Ländern, Koch- und Arzneimittelrezepte usw. Eine Fundgrube, die mich voraussichtlich noch lange beschäftigen wird!

dsc01310Was mir beim Durchblättern besonders auffällt, sind die Menschen, die sich mit der Imkerei beschäftigten, beziehungsweise deren Kleidung. Auf einem Foto steht der Buchautor im weißen Anzug mit Krawatte und elegantem Strohhut vor dem Bienenhaus und schreibt seine täglichen Notizen in ein Büchlein. Ein Paar hantiert mit einem Schwarm, um ihn in einen anderen Korb zu zügeln: Sie trägt eine kurzärmlige Bluse, wadenlangen Rock und Stöckelschuhe, er schwarze Hosen mit Gilet, weißes Hemd und selbstverständlich Krawatte sowie elegantes, auf Hochglanz poliertes Schuhwerk. Die meisten sind so oder ähnlich angezogen, von Schutzanzügen, Schleiern oder Handschuhen keine Spur. dsc01308Die Damen und Herren holten Schwärme von den Bäumen, als hätten diese Bienen keinen Stachel besessen.

Tatsächlich scheinen die Dunklen Bienen einen besonders friedfertigen Charakter zu besitzen. Der 1994 gegründete Verein Schweizerischer Mellifera Bienenfreunde beschreibt sie folgendermaßen: «Sanftmut, ruhiger Sitz auf den Waben, geringe Schwarmneigung, ausgeglichener Honigertrag, Winterfestigkeit sowie gutes Hygieneverhalten».

Der französische Bienenspezialist riet Anfängern dennoch, sich mit Handschuhen und einem Schleier zu schützen. Es komme allerdings sehr selten vor, dass man von den Bienen ernstlich gestochen werde. Selbst bei länger dauernden und heiklen Manipulationen seien sie friedlich, falls man Vorsicht walten lasse und ruhig bleibe. Er räumt jedoch ein, dass die Imkerei wohl mehr Anhänger fände, wenn die Bienen keinen Stachel hätten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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