«Morgen, Kinder, wird’s was geben…» Ja, es ist Vorweihnachtszeit mit allem, was dazugehört: Weihnachtsmärkte, Ohrwürmer wie Jingle bells, jingle bells, jingle all the way in den Warenhäusern, Nikolaus-Skirennen, Glühwein, Einkaufsstress allenthalben… Nur etwas fehlt: der Schnee. Jedenfalls im Wallis sind nur die Gipfel weiß, die Sonne verteidigt ihren Platz hartnäckig. Auch schön, so konnten wir gestern im Rebberg noch einige Trauben pflücken und eine putzmuntere Heuschrecke beobachten.
Gottesanbeterin auf dem Vormarsch?
Den meisten Zeitungen war es mindestens eine Spalte wert: Die Gottesanbeterin ist zum Insekt des Jahres 2017 erkoren worden. Im Gegensatz zum Star von 2016, dem weitgehend unbekannten Dunkelbraunen Kugelspringer, bietet diese Fangheuschrecke genügend Stoff. Sogar der seriöse deutsche Naturschutzbund bezeichnet sie als «Femme fatale, Vorbild für Kung-Fu-Kämpfer und japanisches Symbol der Wachsamkeit, Geduld und Beständigkeit». Ihren Ruf als Gattenmörderin, die «ihre Männchen nach dem Sex frisst» (NZZ am Sonntag), macht die Gottesanbeterin auch für Menschen zum Faszinosum, die sich sonst nicht sehr für Insekten interessieren. Dahinter steckt jedoch keine sinnlose Brutalität; das (gelegentliche) Opfer des Männchens ist sogar biologisch sinnvoll, da es als Energielieferant für das befruchtete Weibchen dient, das wenige Tage später bis zu 200 Eier in einer Schaummasse ablegt. Dieser Schaum wird so hart, dass er hungrigen Vögeln widersteht und sogar sehr tiefe Temperaturen dem Gelege nichts anhaben können.
Die Europäische Gottesanbeterin ist ursprünglich von Afrika eingewandert und hat sich allmählich gegen Norden ausgebreitet. Sie mag es warm und möglichst trocken. Die Wahl des deutschen Kuratoriums wird vom NABU wie folgt kommentiert: «In Deutschland kam das Insekt des Jahres 2017 lange Zeit nur in Wärmeinseln wie dem Kaiserstuhl bei Freiburg vor.
Mittlerweile aber wurde die Gottesanbeterin mit Ausnahme von Niedersachsen und Schleswig-Holstein bereits in allen deutschen Bundesländern nachgewiesen. Einige der Fundorte mögen auch auf Verschleppung als unbeabsichtigtes ‹Urlaubsmitbringsel› aus dem Süden zurückgehen. Aber insgesamt ist die Art ein gutes Beispiel für die Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die mitteleuropäische Tierwelt. Mit steigendem Temperaturen wird sich die Gottesanbeterin voraussichtlich immer weiter ausbreiten.»
Wärme allein genügt jedoch nicht. Wenn die Larven im Spätfrühling schlüpfen, benötigen sie ein reiches Nahrungsangebot an noch kleineren Insekten, denn sie müssen innerhalb von gut zwei Monaten von 6 mm auf 6 cm (Männchen) oder gar 7,5 cm (Weibchen) heranwachsen. Und nicht nur das: sie müssen auch genügend fit sein, um sich im August fortzupflanzen. So selbstverständlich, wie es scheint, ist das nicht, vor allem in einem verregneten, kalten Frühjahr wie jenem von 2016. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Der Bestand an Gottesanbeterinnen ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen, und zwar in der Ardèche wie im Wallis. Und diesen Sommer war es besonders schlimm. Da hilft nur noch beten!
Die Rebzikade singt nun auch im Wallis
Nach der Kirschessigfliege sorgt ein weiteres Insekt für Probleme: Die Amerikanische Rebzikade hat sich diesen Herbst auch im Wallis manifestiert. Sie wurde in den 1940er Jahren aus Übersee eingeschleppt und breitete sich allmählich in Europa aus. Scaphoideus titanus misst zwar bloß 5 mm, riesig sind hingegen die Schäden, die die Goldgelbe Vergilbung anrichten kann, die von ihr übertragene Rebenkrankheit. Und sie ist besonders schwierig zu bekämpfen.
Neben strenger Kontrolle, Hygiene und Pflanzenschutzmitteln, die großräumig eingesetzt werden müssen, sollen laut Wikipedia bzw. dem Österreichischen Weinbauverband auch die umliegenden Wälder und Gärten einbezogen werden: «Innerhalb ausgewiesener Befalls- und Sicherheitszonen gelten weiter folgende Regelungen. Aufgelassene Weingärten, Vermehrungsflächen, Weinhecken usw. sind bis Ende Mai in einen ordnungsgemäßen Pflegezustand zu bringen oder zu roden. Waldreben (Clematis vitalba) auf bepflanzten Grundstücken und an benachbarten Waldrändern sind zu entfernen. Ihre Wiederaustrieb ist zu verhindern. Sämtliche Weingärten, Weinhecken, Weinlauben sowie einzelne Rebstöcke sind gemäß den behördlichen Vorgaben zu behandeln.» Verständlich, dass die Rebbauern keine Freude an diesem Einwanderer haben.