Denke ich an eine Wiese, in der es brummt und summt und flattert, kommt mir unter anderem Christian Morgenstern (1871–1914) in den Sinn. Wahrscheinlich sprach der Dichter und Übersetzer im folgenden Gedicht aus eigener Erfahrung, denn zu seiner Zeit war es vermutlich schwierig, auf einer Blumenwiese ein Nickerchen zu machen…
Ein nervöser Mensch auf einer Wiese
wäre besser ohne sie daran;
darum seh‘ er, wie er ohne diese
(meistens mindestens) leben kann.
Kaum dass er gelegt sich auf die Gräser
naht der Ameis, Heuschreck, Mück und Wurm,
naht der Tausendfuß und Ohrenbläser,
und die Hummel ruft zum Sturm.
Ein nervöser Mensch auf einer Wiese
tut drum besser, wieder aufzustehn
und dafür in andre Paradiese
(beispielshalber weg) zu gehn.
«Butterblumengelbe Wiesen, sauerampferrot getönt», und das «überreiche Sprießen» waren dem bereits mit 43 Jahren, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, an Tuberkulose verstorbenen Morgenstern vertraut. Heute ist der Mensch nicht mehr nervös, sondern gestresst und/oder geburnouted, und wird öfter vom summenden Handy als von kreuchenden und fleuchenden Insekten gestört. Dafür wird versucht, ihm Insekten als das kommende Nahrungsmittel schmackhaft zu machen. Schade, dass Morgenstern darüber kein Gedicht mehr schreiben kann!
Haben Mehlwürmer & Co. eine Zukunft?
Das BLV (Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen) hat beschlossen, Mehlwürmer, Heimchen und Wanderheuschrecken als Nahrungsmittel in der Schweiz zu erlauben. Sie dürfen künftig gehandelt, gekocht und nicht nur im privaten Kreis, sondern auch in Kantinen und Restaurants verspeist werden. Ein Blick ins Internet zeigt, dass bereits ein erstaunlich vielfältiges Angebot an Delikatessen für menschliche Insektivoren existiert. Es gebe noch zu wenig Untersuchungen in diesem Bereich, um andere Insekten für den Verzehr freizugeben, meint das BLV.
Dem entgegnet der als «Insektenspezialist» bekannte Züchter Daniel Ambühl, die Wahl sei nicht optimal, weil diese Arten mit Soja und Weizen gefüttert würden, einen hohen Chitinanteil aufweisen und zudem Dinge im Darm haben können, die nicht unbedingt gesund sind. Besser geeignet wären zum Beispiel Bienendrohnenmaden und zwei Arten Seidenspinnerraupen. Sie seien sozusagen chitinfrei und begnügten sich mit Nahrung, die sich für Menschen nicht eigne: Pollen, Blätter des Maulbeerbaums sowie sogar toxische und invasive Pflanzen.
Das hört sich im ersten Moment gut an. Doch tauchen rasch Zweifel auf. In der Schweiz gibt es viel zu wenig Maulbeerbäume, um Seidenspinnerraupen industriell zu züchten, denn sie fressen enorm viel, bis sie sich verpuppen. Hierzulande ist es den Züchtern für die Seidenfabrikation zudem verboten, die Kokons wie in China mit heißem Dampf zu bearbeiten. Sie müssen die Raupen mittels Dörrapparaten töten, dürfen diese jedoch dann nicht den Hühnern verfüttern, da dafür die gesetzlichen Grundlagen noch fehlen… Hat der Gesetzgeber sich schon Gedanken darüber gemacht, wie Mehlwürmer, Grillen und Heugümper in unseren Fabriken und Küchen geschlachtet werden sollen, damit dem Tierschutz Genüge getan wird?
Toxisch und wanderfreudig
Was den Seidenspinner betrifft, der sich von giftigen und invasiven Pflanzen ernähren soll (der wissenschaftliche Name wurde von Radio DRS 1 nicht genannt), frage ich mich, ob diese Art wirklich risikofrei gegessen werden kann. Ausserdem: Müssen dafür toxische und invasive Pflanzen als Futterlieferanten angebaut werden? Schließlich kann der Züchter sich nicht ohne weiteres in Gärten und Wäldern mit Kirschlorbeer, Sommerflieder usw. bedienen, das wäre dem Gesetzgeber wohl auch wieder nicht recht. Und schließlich frage ich mich, ob sich Insekten als Fleischersatz «fürs Volk» eignen, bei einem Kilopreis von 1580 Euro für gefriergetrocknete Seidenspinnerraupen und 996,67 Euro für getrocknete Grillen aus Afrika (bei insektenlutscher.de). Kaviar ist auch nicht teurer.
Und noch etwas: Im Tessin breiten sich verschiedene Arten Wanderheuschrecken aus Afrika aus. Das zuständige WSL beruhigt jedoch: Das sei klimabedingt und könnte verschiedenen seltenen Vögeln zugute kommen. Es seien auch noch nicht so viele, dass sie den Kulturen ernsthaften Schaden zufügen. Hoffentlich haben die Experten in Bern alles im Griff!