TSCHERNOBYL IM NATIONALPARK

CriiradIm «Dauphiné libéré» erfährt man, wo der nächste Boule-Wettbewerb stattfindet, wer geheiratet oder ein Baby bekommen hat, welche Straßen neu geteert wurden, welches Dorf den schönsten Blumenschmuck hat und vieles mehr. Es kann jedoch auch aufregender werden. Zum Beispiel, wenn das Blatt in einem kurzen Artikel darüber berichtet, dass die Alpen 29 Jahre nach Tschernobyl nach wie vor erschreckend stark verseucht seien.

Radioaktiver Nationalpark Mercantour

Die CRIIRAD (Commission de recherche et d’information indépendantes sur la radioactivité) hat Anfang Juli 2015 die Radioaktivität im Herzen des Nationalparks Mercantour zwischen 2440 und 2540 Metern Höhe gemessen. Diese vom Staat unabhängige Kommission wurde 1986 gegründet, als Reaktion auf die verharmlosenden Lügen, die der französische Staat nach der Katastrophe in der Ukraine verbreitete. Damals wurde die Bevölkerung informiert, im Hexagon seien keine gesundheitlichen Gefahren zu befürchten, nur das Thymiankraut solle man eine Zeitlang besser meiden… Man hörte und staunte.

Nun geben die Forscher der CRIIRAD bekannt, dass das in Tschernobyl entwichene Cäsium 137 in gewissen Bereichen des Mercantour auf der Erdoberfläche einen 100mal höheren Wert als normalerweise aufweise. Sogar noch einen Meter über dem Boden sei die Strahlung über zweimal stärker. Die Parkleitung wird deshalb aufgefordert, die Touristen zu warnen. Wer nur schon zwei Stunden biwakiere, setze sich einer nicht unbedeutenden Gefährdung aus. Muss man nun zum Wandern einen Schutzanzug anziehen? Und was riskieren zum Beispiel Kinder, wenn sie auf den grünen Wiesen herumtollen? Oder wie steht’s mit Milch, Käse, Butter und Fleisch von Tieren, die hier sömmern? Innerhalb der Parkgrenzen weiden den Sommer über mehrere tausend Schafe. Und was ist mit den Wildtieren? Wie reagiert die Insektenwelt darauf? Immerhin soll der behaarte Apollofalter Parnassius phoebus gazelli einzig und allein im oberen Boréon- und Gordolasque-Tal fliegen.

Die Alpen entgiften?

Seit 1997 wies die CRIIRAD wiederholt darauf hin, dass die französischen Alpen radioaktiv kontaminiert seien, und fordert immer wieder, die verseuchtesten Sektoren zu entgiften oder wenigstens deutlich zu markieren. Von offizieller Seite wurde dies zur Kenntnis genommen, man zog aber bis heute keine entsprechenden Konsequenzen (vermutlich ist eine solche Sanierung auch kein Kinderspiel, es müsste ja tonnenweise Erde abgetragen werden). Was die übrigen Länder betrifft, hat die CRIIRAD 1989 Messdaten für die Schweiz, Italien und Österreich bekanntgegeben, die nicht wesentlich von jenen der französischen Alpen abweichen sollen.

Laut dem Bundesamt für Gesundheit BAG ist die Lage allerdings nicht halb so schlimm, wie sie oft dargestellt werde. Der Physiker Hansruedi Völkle von der Sektion Überwachung der Radioaktivität in Freiburg i.Ü. zieht in seiner 1998 erschienenen Arbeit über die Strahlenmessung in der Schweiz den Schluss: «In der Schweiz wurde in den letzten vierzig Jahren eine umfassende Beobachtung der Umweltradioaktivität aufgebaut. (…) Weder der Kernwaffenausfall noch Unfälle wie Tschernobyl oder Lucens, noch die Anwendung radioaktiver Stoffe in Industrie und Medizin haben bisher in der Schweiz zu einer Gefährdung der Bevölkerung geführt. Die Strahlenrisiken aus diesen Quellen sind vernachlässigbar und dies insbesonders im Vergleich mit andern zivilisationsbedingten Risiken des modernen Lebens.»

Aktuellere Informationen über die Auswirkungen von Tschernobyl in der Schweiz bestätigen dies. Was ist von den Messungen der CRIIRAD zu halten? Haben die erklärten Atomkraftwerkgegner «im Dienste der guten Sache» geschummelt? Für Laien wie mich ist es schwierig, den Durchblick zu haben. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass mit Cäsium vergiftete Böden den Insektenbestand beeinflussen. Und theoretisch könnten die Messdaten des Mercantour jederzeit überprüft werden.

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