Habe ich nicht letzthin bedauert, dass mit dem Winter die insektenarme Jahreszeit angebrochen ist? Das war ein Irrtum, zumindest was unsere Wohnung betrifft. Hier tummeln sich seit einigen Tagen Hunderte und Aberhunderte von winzigen, schwarzen Insekten. Woher sie stammen, war mir zuerst ein Rätsel.
Unbeliebte Gäste
Unter der Lupe entpuppten sich die schwarzen Punkte als zierliche und anscheinend harmlose Fliegen. Der Blick ins Internet klärte mich auf: Es sind Trauermücken (Sciaridae). Sie besitzen zwar effektiv keinen Stechapparat wie andere Mückenarten, können einem aber das Leben dennoch schwer machen. Die vielen Hilferufe zeugen davon, dass man diese ungebetenen Gäste nicht so leicht wieder loswird. Die weltweit rund 1800 Trauermückenarten – diese Bezeichnung verdanken sie ihrer mehr oder weniger dunklen Färbung – besiedeln sozusagen alle Lebensräume, von der Antarktis bis zur Sandwüste und vom Flachland bis ins Hochgebirge. Wikipedia schränkt jedoch ein: «Die meisten Arten findet man aber in feuchten Habitaten wie Wäldern, Mooren, Feuchtwiesen, auf Weiden, Feldern und auch Gärten. Dort leben ihre Larven versteckt in Laub und Pflanzen.» Und jetzt kommt’s: «Sie treten auch in Häusern und Wohnungen auf und entwickeln sich dort in Blumentöpfen.»
Die Yucca und die mächtige Euphorbie im Wohnzimmer könnten theoretisch der Herd der Invasoren sein, vermutlich ist es jedoch die Yucca-Palme, da sie vor ein paar Wochen umgetopft werden musste, nachdem sie den alten Topf gesprengt hatte. Blumenerde sei häufig von Eiern oder Larven befallen und werde so eingeschleppt. Die Erde wird «aus Kostengründen» nicht mehr in jedem Fall mit heißem Dampf desinfiziert, so dass die Plagegeister im Preis inbegriffen sind. Darum wird empfohlen, keine billige Erde zu kaufen. Doch meist muss man ja einfach nehmen, was angeboten wird, und ob Mückenlarven enthalten sind oder eben nicht, steht wohl kaum auf dem Preisschild.
An Ratschlägen zur Bekämpfung der Zweiflügler, deren Larven mitunter auch die Wurzeln der Pflanzen perforieren, mangelt es nicht. Streichhölzer sollen kopfvoran in die Erde gesteckt, Quarzsand oder Kaffeesatz darübergestreut werden. Professioneller geht man mit klebrigen Gelbstickern zu Werk (im Gartencenter in Uvrier VS waren diese leider nicht erhältlich, da ist man gegenwärtig im Weihnachtstaumel). Auch Fressfeinde der Larven (Nematoden) oder Bakterien (zum Beispiel Bacillus thuringiensis, das auch im großen Stil als selektives Präparat in Kulturen versprüht wird) sollen wirksam sein. Als letzte Möglichkeit kann die befallene Pflanze aus der Erde genommen, samt Wurzelwerk gründlich gewaschen und neu in sauberer Erde eingetopft werden. Von Chemie wird allseits abgeraten, sie bringt in diesem Fall eh nichts. Ich versuche es vorerst mit Staubsaugen, so seltsam das in einem Insektenblog klingt. Hält man die Hand einige Sekunden aufs Rohr, sind die Viechlein sogleich tot, hat man mir gesagt. Und ganz wichtig: möglichst wenig gießen, damit die Larven austrocknen.
Urzeitliches Matriarchat
Es soll dennoch nicht verschwiegen werden, dass die Trauermücken durchaus auch nützlich sein können und im Kreislauf der Natur seit Urzeiten eine wichtige Rolle spielen. Die ältesten, in Bernstein mumifizierten Funde sind 130 Millionen Jahre alt. Wahrscheinlich gab es sie jedoch schon lange vorher, spätestens seit Wälder entstanden. Dort fressen die Larven vor allem das abgeworfene, feuchte Laub, vermoderndes Holz sowie Pilze und produzieren mit ihren Exkremente den von den Bäumen benötigten Humus. Ihre Ausscheidungen werden zudem von anderen Kleinlebewesen im Boden geschätzt, und das Vollinsekt bildet ebenfalls eine wertvolle Nahrungsquelle.
So gefräßig die Larven sind, nach dem Schlüpfen haben die ausgewachsenen Trauermücken keinen Appetit mehr. Sie leben nur noch wenige Tage, um sich fortzupflanzen. Mit 90% sind die Weibchen eindeutig das stärkere Geschlecht, und dies nicht bloß zahlenmäßig. Wikipedia: «Die Männchen der Trauermücken geben – wie auch bei den verwandten Gallmücken – nur diejenigen Erbanlagen an ihre Nachkommen weiter, die sie von ihrer Mutter erhalten hatten. Während das weibliche Geschlecht sich ganz normal fortpflanzt und eine kontinuierliche Kette von Vorfahren und Nachkommen bildet, fungieren die Männchen also nur als Vermittler zwischen diesen rein weiblichen Vererbungslinien.» Das Weibchen legt dann bis zu 200 Eier, aus denen entweder nur weibliche oder nur männliche Larven schlüpfen.
Die Fortpflanzung der Trauermücken ist darauf ausgerichtet, möglichst viele Nachkommen zu zeugen. Es kann deshalb vorkommen, dass eine Überpopulation entsteht und die Larven einen neuen Fressplatz suchen müssen. Besonders spektakuläre Wanderzüge von bis zu 10 m Länge und 15 cm Breite kann die Art Sciara militaris bilden. Früher wurde das Auftauchen einer solchen Riesenschlange als Kriegsbote gedeutet. Dieses Phänomen sei übrigens wieder häufiger zu beobachten.