
Nachdem sich der Winter Mitte März nochmals mit Schnee bis in die Niederungen manifestiert hat und der Zürcher Böögg verbrannt ist, wird’s nun wirklich Frühling. Es sprießt und blüht allenthalben, und nichts mehr hält uns in den vier Wänden. Ein Waldspaziergang ist jetzt das höchste der Gefühle, vor allem, wenn sich der Bärlauch und die ersten Morcheln zeigen! Vorher werfen wir noch schnell einen Blick ins Internet – wo uns der «BLICK» verrät, dass es auch mit dem Schweizer Wald nicht mehr zum Besten steht.
Hochgiftige Insektizide gegen Borkenkäfer
Dass auf Landwirtschaftsland Pflanzenschutzmittel versprüht werden, ist nicht neu. Doch nun hat man festgestellt, dass auch biologisch bebaute Gebiete und ökologische Ausgleichsflächen mehrheitlich mehr oder weniger stark mit Neonicotinoiden verseucht sind (Quelle: «NZZ am Sonntag» vom 7. April 2019). Zur Verbreitung beigetragen haben Wind, Regen und Schnee. Es kommt jedoch noch eine weitere erstaunliche Tatsache hinzu: «Die Neuenburger Forscher haben in 14 von 16 Proben von Bio-Samen Neonicotinoide gefunden. Diese können etwa von Verunreinigungen in den Produktions- und Transportanlagen stammen.» Soweit so schlecht.
Noch verstörender ist jedoch die Nachricht, dass auch in den Wäldern Insektizide versprüht werden. Aufgedeckt wurde dies durch die Schweizer Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU, Fachzeitschrift OEKOSKOP), und der «BLICK» hat das breite Publikum darüber informiert. «Hochrechnungen aufgrund einer Umfrage bei kantonalen Waldbehörden ergaben: 2018 wurden in Schweizer Wäldern rund 700 Kilo hochtoxischer Insektizide auf gefällte Bäume gespritzt, um sie vor einem Befall durch Borkenkäfer zu schützen. Darunter Cypermethrin und Chlorpyrifos, deren Wirkstoffe für Menschen hochgiftig sind. Manche der Insektizide stehen im Verdacht, Krebs zu verursachen und bei Kleinkindern Entwicklungsstörungen bis hin zu Hirnschäden auszulösen.» Und da Kinder gerne auf den gefällten Stämmen herumklettern und mit den Eltern darauf picknicken, sorgen sich die engagierten Mediziner zu Recht um deren Gesundheit. Abgesehen davon sind die beiden Insektizide starke Bienen- und Fischgifte und toxisch für Vögel.
Grundsätzlich ist es in der Schweiz verboten, im Wald mit Giften zu arbeiten. «Dennoch bewilligten 22 der 25 Forstämter teilweise sogar den Einsatz von explizit verbotenen Mitteln. Für Insektengifte gebe es eine Ausnahmebewilligung.» … Stoßend: Auch das Label des Forest Stewardship Council (FSC), das für nachhaltig erwirtschaftetes Holz vergeben wird, toleriert bisher den Einsatz von Cypermethrin. In der Schweiz gebe es eine Ausnahmebewilligung, weil sonst ein Ausstieg der Waldbesitzer aus dem FSC zu befürchten sei.» Diese Bewilligung soll im Sommer dieses Jahres auslaufen… Die Kantone Glarus, Wallis und Tessin haben nach eigenen Angaben auf die Giftkeule verzichtet. Denn es gibt auch andere Methoden, um das gefällte Rundholz vor dem in heißen Sommern besonders aktiven Borkenkäfer zu schützen. Zum Beispiel, indem es möglichst schnell aus dem Wald transportiert wird. Im Kanton Glarus wurden auf diese Weise gute Resultate erzielt und sogar noch Geld gespart (mehr unter www.aefu.ch). Und für mich Wahl-Walliserin ist es natürlich eine gute Nachricht, dass man in den Wäldern dieses Bergkantons noch gefahrlos durchatmen kann.
Publik gemacht wurde die Sache übrigens von Martin Forter, dem Autor des Artikels und AefU-Geschäftsführer, der auf seinem Waldspaziergang einen Forstarbeiter beim Giftspritzen überraschte und den Skandal im wahrsten Sinne des Wortes witterte.
Mönche als Meteorologen
Für die Bergler spielte das Wetter schon immer besonders wichtige Rolle. Aus diesem Grund haben die Augustinermönche im Hospiz auf dem Großen Sankt Bernhard auf 2473 Metern Höhe nicht nur die berühmten Lawinenhunde gezüchtet, sie betreiben auch seit 1817 die älteste meteorologische Station im Alpenraum. Seit zwanzig Jahren wird sie in Zusammenarbeit mit MeteoSchweiz von Diakon Frédéric Gaillard betreut.
Die Aufzeichnungen zeigen, dass die Temperatur in den vergangenen 150 Jahren rund 2,5 Grad gestiegen ist. Wobei der Prozess nicht kontinuierlich stattfand: 1869 war mit einer Durchschnittstemperatur von –3,3° das kälteste und 2007 mit +0,3° das wärmste Jahr. Es gab Jahre, in denen von September bis Juli bis zu 26 Meter Schnee fielen, und andere, in denen es weniger als 5 Meter waren. Am wenigsten Schnee gab’s übrigens in der Zeit von 1862 bis 1874 (Quelle: Le Nouvelliste vom 20.3.2019).
Laut dem Geologen Walter Wildi gibt es zahlreiche Hinweise, dass das Mittelalter vor 1250 für die Bergbevölkerung eine blühende Zeit gewesen war. Als Folge der warmen Temperaturen hatten sich die Gletscher zurückgezogen, so dass mehr Land zur Beweidung zur Verfügung stand. Im Wallis lag die Waldgrenze damals 200 Meter höher als heute. Dann begannen die Gletscherzungen wieder zu wachsen und bedeckten im 17. Jahrhundert einen Großteil der einst blühenden Alpweiden, und die Bevölkerungszahl ging zurück. Die Periode der Kleinen Eiszeit endete um 1850. Und Honorarprofessor Wildi meint, man dürfe sich durchaus die Frage stellen, wie das «normale» Klima heute wäre, ohne menschlichen Einfluss.
In der Regel überwintern sie höchstens vereinzelt nördlich der Alpen. Wer sich wie die Bachstelzen vorwiegend von Insekten und Spinnen ernährt, hat es bereits in den wärmeren Jahreszeiten nicht mehr leicht. Dass sie jedoch bei uns den Winter überleben können, vor allem wenn längere Zeit Schnee liegt, grenzt an ein Wunder.


Insektenschwund… auch in den Lehrbüchern
Mittlerweile widmen Biobücher den Kerbtieren gerade mal 0,6 Prozent ihres Inhalts. Sie vermitteln damit nicht nur ein Zerrbild der Natur: Insekten sind die artenreichste Tierklasse auf unserem Planeten. Auch rein zahlenmäßig nehmen wir Wirbeltiere uns gegen sie als lächerliche Minderheit aus. Vor allem aber entgehen den Studierenden faszinierende Einblicke in Artenvielfalt und Evolution. (…) Nur wenige brauchen den Menschen als Wirt oder Nahrungsquelle. Der Rest der rund eine Million bekannten Arten käme prima ohne uns klar. Aber wir nicht ohne sie.»
Dank Pro Natura, die das Glühwürmchen zum Tier des Jahres erkoren hat, macht 2019 ausnahmsweise ein positiv besetztes Insekt Schlagzeilen. Der «Große Leuchtkäfer», wie das Glühwürmchen korrekt heißt, ist dank seiner Leuchtkraft von einer romantischen Aura umgeben. Dass es sich hauptsächlich von Schnecken ernährt, die es mit Gift killt, ist wohl den wenigsten bekannt. Mehr Erleuchtung unter
Allmählich wird man sich auch in der Schweiz bewusst, dass gegen den Insektenschwund etwas unternommen werden muss. Die Petition «Insektensterben aufklären» der Naturfreunde und ihrer Partner dark-sky, apisuisse und Schweizer Bauernverband hat seit dem vergangenen September bis heute (22.11.) rund 120’000 Unterschriften gesammelt. Sie verlangt, dass «Ursachen und Tragweite des Insektensterbens» in der Schweiz aufgeklärt und in der Folge Maßnahmen umgesetzt werden, die dieses Massensterben stoppen. Dass ihr Anliegen vielleicht ein wenig zu ambitiös ist, scheint auch ihnen klargeworden zu sein. Immerhin: «Ein erster, kleiner Teilerfolg darf bereits vermerkt werden: Wer sich umschaut, wer sich umhört, stellt fest, dass das Thema nun auch in den Medien und sozialen Netzwerken vermehrt auftaucht. Das Insektensterben ist damit allerdings noch nicht gestoppt. Aber zumindest scheint eine Sensibilisierung in Gang zu kommen. Und damit die Erkenntnis, dass mit dem Verschwinden der Insekten auch unsere eigene Lebensgrundlage auf dem Spiel steht.» Besser das als nichts! Siehe
Hanfpionier, Biobauer und Hobbyangler
Doch die Natur sterbe dennoch, bedauert Rappaz: «Die Biodiversität schrumpft, die Insektenpopulationen verschwinden und mit ihnen alle Insektenfresser, darunter auch die Vögel. Ist dieser Genozid der Auftakt zum Weltuntergang? Wollen wir wirklich, dass unsere Kinder den Vogelgesang draußen, in der Natur, nicht mehr hören können? Als Angler erinnere ich mich noch an die unglaubliche Menge an Forellen in den Kanälen und Flüssen der Walliser Rhoneebene. Heute gibt es in den Fließgewässern, die Landwirtschaftszonen durchqueren, keine Fische mehr, während jene in intakteren Naturgebieten gut bestückt sind. Schuld ist die Agrochemie.» Und er beklagt unsere Behörden, die sich eher halbherzig für eine Lösung ohne Pestizide einsetzen. «Welch verhängnisvolle Heuchelei! Um die multinationale Agrochemie zu schützen?»
Vom Saulus zum Paulus
Nicht alles war früher besser, da gehe ich mit den Neuen Optimisten einig, aber einiges schon. Zum Beispiel der Sommer, der weitgehend positiv besetzt war. Man freute sich auf eeewiglange Schulferien, auf heiße Tage an Seen und am Meer, auf Rimini, Jesolo und Venedig, aufs Bergwandern, aufs Glaceschlecken, Cervelatbräteln und aufs Feuerwerk am 1. August. Heute lesen und hören wir täglich, wie katastrophal dieser Sommer ist und die kommenden Sommer sein werden. Er bringt Hitzetote, Dürre, hungernde Kühe, verzweifelte Bauern und Älpler, Massentourismus mit allem Drum und Dran, erstickende Fische in Seen und Flüssen, vermüllte Meere, serbelnde Korallenriffe, Feuer- und Grillverbote und schließlich auch noch eine Wespenplage, die in den Medien fette Schlagzeilen macht.
Feuerwehr und Apotheken im Einsatz
Pikett-Offizier Herbert Hildbrand: «Vor zehn, zwölf Jahren wäre ein Wespennest in Jeizinen, auf 1525 Meter, undenkbar gewesen. Dieses Jahr entfernten wir dort bereits eines, ein weiteres erwartet uns am Freitag.» Und am folgenden Tag hat sich auch der Nouvelliste diesem Thema gewidmet – die gefürchteten Insekten halten demnach nicht nur die Feuerwehrleute im Oberwallis auf Trab. Nur den Montorge, der unter Naturschutz steht, finden sie offensichtlich nicht besonders attraktiv.
Wie dem auch sei, jetzt wird der große Sommerflieder- oder Buddlejabusch im Garten von unzähligen Hummeln, Bienen und Faltern umschwirrt. Da ich die verblühten Rispen jeweils entferne, blüht er lange und üppig. Laut Herders Lexikon der Biologie werden die stark duftenden Blüten wegen ihres Nektarreichtums besonders von Schmetterlingen besucht.
Dass sich die darum auch Schmetterlingsstrauch genannte Zierpflanze auf die Insekten negativ auswirken soll, erwähnt das 1983 erschienene 9-bändige Nachschlagewerk nicht. Ein ausführliches Plädoyer zu diesem Thema findet sich in meinem Blog vom 12. Oktober 2015: «Pflanzen mit schlechtem Ruf».
Der Berner Züchter von Schmetterlingsraupen Marc de Roche wurde durchs Fernsehen (Aeschbacher) und die Coop-Zeitung schweizweit bekannt. Papa Papillon, so sein verdienter Übername, betont, dass nicht nur die Raupen, sondern auch die Falter Nahrung brauchen. Unter den Pflanzen, die für Schmetterlinge geeignet seien, zählt er unter anderen den Sommerflieder auf. Im Hochsommer, wenn die Wiesen gemäht sind und an Bäumen und Sträuchern kaum mehr etwas blüht, retten sie – ob «böse» Neophyten oder nicht – viele Insekten vor dem Hungertod.
Der Kanton Wallis lässt sich jedoch wieder einmal von Bern nicht beeindrucken und beschließt, eigene Wege zu gehen. Man will versuchen, auf öffentlichem Grund ohne oder jedenfalls fast ohne das Herbizid Glyphosat auszukommen. Reduziert wird hier bereits seit einigen Jahren: Wurden 2012 von staatlicher Seite noch 6000 Liter gespritzt, waren es im vergangenen Jahr noch 600 Liter für 600 Kilometer Straßenborde. Eine Alternativlösung ist heißes Wasser, das mit Hochdruck herausschießt. Eine andere Option sind Schafe, vor allem schwarznasige natürlich, die die Boden abgrasen sollen. So soll nicht nur die Biodiversität gefördert, sondern auch der Geldsäckel des Kantons geschont werden.
Schwarznasenschafe kann man auch vermehrt in den Rebbergen entdecken. Für die Winzer, die der Natur in ihren Parzellen mehr Raum gewähren wollen, ist die Haltung von Schafen eine neue Erfahrung. Da Bioweine an Beliebtheit gewinnen, haben die Vierbeiner auch einen gewissen Werbeeffekt. Sie mähen die Grünflächen zwischen den Rebzeilen und gelangen auch an Stellen, die schwer zugänglich sind. Doch sie haben auch die Sprossen, Blätter und Trauben der Rebstöcke zum Fressen gern, was ein gutes Management voraussetzt. Hängen die Trauben außerhalb ihrer Reichweite, können sie vom Frühling bis in den Spätherbst draußen bleiben. (Quelle: Le Nouvelliste)
Attacken auf die deutsche Eiche
In Erinnerung ist die Schwammspinnerplage von 1993, als die haarigen Raupen sich besonders gefräßig und zudringlich benahmen. Damals wurden allein in Bayern 230 Quadratkilometer Wald mit einem Gift eingenebelt, das nicht mehr produziert wird. Fazit: «In der Tat geht es bei der Bekämpfung nur nach der gefühlten Gefahr. Gesicherte Fakten gibt es kaum. Niemand kann sagen, inwieweit der Wald Schaden nähme, wenn weniger gespritzt würde – oder auch gar nicht.»
PS: In der Schweiz wurden die Wälder meines Wissens bislang vom Schwammspinner noch nicht heimgesucht. Dafür ist nun die Luxusgastronomie hinter den Insekten her. Das Restaurant Silver in Vals serviert als Starter eines zwölfgängigen Menüs Waldameisen. Die – gesetzlich geschützten – Ameisen werden von Frühjahr bis Spätsommer ihrer «interessanten Säure» wegen gesammelt und in Öl eingelegt. Laut der Weltwoche will Koch Sven Wassmer damit Aufmerksamkeit erzeugen: «Aber die Ameisen machen geschmacklich Sinn: Sie sind Teil des hiesigen Ökosystems.» Abgesehen vom Geschmack, über den man streiten kann, wäre es wünschenswert, wenn Wassmer – 18-GaultMillau-Punkte und Aufsteiger des Jahres – den Waldameisen eine Chance ließe, auch weiterhin zu diesem Ökosystem zu gehören.



























