KATASTROPHALES JAHR FÜR INSEKTEN UND BIOBAUERN

pflaumenbaum-hoch-300-flEin Bekannter schenkte uns einen großen Korb Zwetschgen aus dem eigenen Garten. Er habe den Baum nur einmal gespritzt, vor der Blüte, um die Bienen zu schonen. Das ist mir natürlich sympathisch, und ich machte mich sogleich an die Arbeit. Die Freude hielt jedoch nicht lange an, denn die weichen, reifen Früchte waren verwurmt, die übrigen hart mit einem braunen Belag im Innern und einem seltsamen Geruch. Als meine 83jährige Nachbarin Lory die Bescherung sah, rümpfte sie die Nase und meinte: «Zwetschgenfäule! Zu wenig gespritzt.» Na ja, sie ist eben noch von der alten Schule, dachte ich.140922-nabu-wespe-frisst-an-zwetschge-helge-may

Nun stellte ich die Zwetschgen in den Garten, damit wenigstens die Wespen etwas davon hätten. In der herrschenden Sommerhitze wurden sie rasch weich und begannen zu saften. Für das Wespenvolk ein gefundenes Fressen! Doch die blieben aus… Ich sah jedenfalls keine, obwohl sie sich jetzt im Herbst gierig auf reifes Obst stürzen sollten.

Insektenschwund allenthalben
Sogar der «Blick» verkündete vor ein paar Tagen im Internet in fetter Schlagzeile, dieses Jahr gebe es kaum Wespen und Mücken. Als Ursache wurden unter anderem der verregnete, kühle Frühling, der heiße, trockene Sommer und die Pestizide genannt.

schmetterling3Dem «Spiegel» Nr. 37 ist der Rückgang der Falter zwei Seiten wert. «Nie zuvor flatterten weniger Schmetterlinge über Europas Felder und Weiden. Die ausgedehnten Agrarsteppen bieten vielen Faltern keine Heimstatt mehr.» Und es heißt sogar, 2016 könne das schlimmste Jahr in der Geschichte der Falter werden. Allerdings können die Experten im Grunde genommen auch nur Vermutungen anstellen, warum die Schmetterlinge auszusterben drohen. Als Hauptschuldige werden großflächige Agrarsteppen wie die riesigen Maisäcker für die Produktion von Bioenergie genannt, aber auch die allgemeine Überdüngung und natürlich die Pestizide. Dazu ist zu sagen, dass es in der Schweiz keine so riesigen Monokulturen wie in Deutschland gibt, dafür ist es bei uns zu kleinräumig. Dennoch gibt es auch hier deutlich weniger Schmetterlinge als noch vor einigen Jahren. Ob der Klimawandel dabei eine Rolle spielt, wie die deutschen Experten glauben, kann ich nicht beurteilen. Falter gibt es schließlich auch in wesentlich wärmeren Regionen.

Geht’s ganz ohne?
Was die Pestizide betrifft, war dieser Frühling und Sommer für zahlreiche Biobauern ein echter Alptraum. Die chaotischen Wetterverhältnisse dieses Frühlings mit viel Regen, Hagel und Frost, gefolgt von einem ungewöhnlich heißen und trockenen Sommer, war für alle Landwirte und Winzer eine Herausforderung.

In Frankreich waren wir diesen Sommer auch als Konsumenten mit den Auswirkungen konfrontiert. Es wurde wesentlich weniger Gemüse und Obst geerntet als in anderen Jahre. Das ließ die Preise in die Höhe schnellen. Preistreibend wirkten sich zudem die Kosten für die Pflanzenschutzmittel aus: Es musste mehr gespritzt werden. Besonders betroffen waren Kartoffeln , Erdbeeren und Melonen. Für Kartoffeln bezahlte man im Durchschnitt 36,9% mehr als 2015.

marche-d-aix-en-provenceDabei war es für uns Schweizer dennoch immer wieder erstaunlich, wie viel Gemüse und Früchte man am Wochenmarkt unseres Dorfes für ein paar Euro in den Korb packen konnte… Anders sah es dann bei «Satoriz» in der Nähe von Valence aus, der Niederlassung einer Bioladen-Kette, in der man fast alles findet, was das Herz begehrt. Hier kostete das Körbchen Erdbeeren zu 250 Gramm satte 6,90 Euro, ein Kilogramm Bohnen 7 Euro und die Kartoffeln (mit viel Erde dran) 4,10 Euro. Für französische Verhältnisse ist das enorm. Biofrüchte waren diesen August im Schnitt 70% und Biogemüse sogar 78% teurer als die vergleichbaren Produkte aus konventionellem Anbau. Damit war für etliche Kunden die finanzielle Schmerzgrenze überschritten. Und einige Bio-Landwirte sehen sich nun gezwungen, eine andere, «weichere» Lösung zu suchen, um ihre Existenz zu sichern und ihre Prinzipien dennoch nicht gänzlich zu verraten.

Dilemma der Winzer
Bioweine und sogenannte Naturweine sind mehr denn je gefragt. Für den diesjährigen Schweizer Bioweinpreis, den die Zeitschrift «Vinum» gemeinsam mit Bio Suisse vergibt, wurden 140 Muster eingereicht. Das Bundesamt für Statistik beziffert die Ausgaben von Schweizer Privathaushalten für Nahrungsmittel und Getränke anno 2013 auf über 8% der Gesamtausgaben. Und das Bundesamt für Umwelt BAFU lobt die Winzer: «Eine eigentliche Erfolgsgeschichte schreibt der Rebbau. Dort ließ sich der Einsatz von Insektiziden in den vergangenen 20 Jahren deutlich reduzieren. Zum Erfolg führte einerseits, dass die Rebberge als Ökosystem angesehen wurden, und andererseits, dass engagierte Winzer und Verbandsvertreter neuen Konzepten zum Durchbruch verhalfen.»

csm_20071115_04_01_006_a4_2e8f178b0dDie französischen Biowinzer, die das Label behalten wollten, mussten dieses Jahr einen Ernteverlust von 20 bis 40% hinnehmen. Andere entschlossen sich, dennoch Chemie einzusetzen, um die Traubenernte wenigstens teilweise zu retten. Dadurch verlieren sie für ihren Jahrgang 2016 und die betroffenen Parzellen das Bio-Zertifikat… und erhalten es frühestens in drei Jahren zurück. Ein zusätzliches Problem ist, dass die französischen Banken das ökologische Engagement nicht unterstützen. Das macht es noch schwieriger, eine wetterbedingte Flaute zu überleben.

PS: Bayer übernimmt Monsanto für 66 Milliarden Dollar. Der Konzern will durch diese Fusion «dazu beitragen, die stark wachsende Weltbevölkerung auf eine ökologisch nachhaltige Weise ernähren».

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

PRO BIENEN – KONTRA MÜCKEN

35 OnexOnex ist eine Gemeinde des Kantons Genf mit heute knapp 19’000 Einwohnern. 1950 lebten hier bloß 958 Einwohner vorwiegend von der Landwirtschaft, woran das Gemeindewappen mit dem schönen Laubbaum erinnert. Anfang der 1960er Jahre wurde mit der gigantischen Großüberbauung «Cité Nouvelle» mit Tausenden von Sozialwohnungen begonnen. Sie war die zweite von mehreren Satellitenstädten, die die akute Wohnungsnot von Genf lindern sollte. Damit wurde eine neue, urbane Ära eingeläutet. Heute, ein halbes Jahrhundert später, hat Onex kürzlich beschlossen, Wildbienen auszusetzen und zu fördern. Angeregt hatte dieses pionierhafte Projekt Félix Laemmel, engagierter Umweltschützer und Mitglied des Gemeinderats. Es sei ein langfristiges Unternehmen, erklärte er der «Tribune de Genève», mit dem die Lebensqualität in Onex gesichert werden soll. Er hofft, dass die heimischen Wildbienen durch die Bestäubung einheimischer Wild- und Kulturpflanzen zur Bekämpfung der invasiven exotischen Pflanzen beitragen, die sich im städtischen Umfeld breitgemacht haben. Wann und wie damit konkret begonnen wird, ist noch nicht bekannt. Affaire à suivre…

GROSSVERTEILER ENGAGIEREN SICH
35 Wildbiene
Jeweils am Montag liegt das «Migros-Magazin» im Briefkasten. Im dazugehörigen «Vivai» konnte man erfahren, dass der Förderfonds Engagement Migros eine neue Onlineplattform geschaffen hat, bei der sich alles um Honig- und Wildbienen dreht: «Sie bietet konkrete Empfehlungen für Leute, die im Beruf oder in der Freizeit etwas zur Förderung der Bienen tun können.» Weitere Informationen unter www.bienenzukunft.ch. Dieses Engagement der Migros für die Biodiversität wurde übrigens mit dem Umweltpreis 2016 der Schweizerischen Umweltstiftung ausgezeichnet.

35 Salvador GaribayAm Dienstag trifft dann die «Coop-Zeitung» ein, in unserem Fall in Sion die französischsprachige Ausgabe. Und siehe da: Prominent auf den Seiten 10 und 11 werden die Bienen und ihre Abhängigkeit von der Biodiversität thematisiert. Dr. Salvador Garibay, Mitarbeiter des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FiBL), Demeter-Imker und Coop-Berater, weist darauf hin, dass die Bienen in der Schweiz vor allem im Hochsommer Hunger leiden. Nachdem die Rapsfelder geerntet sind, bleiben oft nicht mehr viele Pollenlieferanten übrig. «Je weiter die Bienen fliegen müssen, um Pollen und Nektar zu finden, desto mehr Energie verbrauchen sie.» Dadurch würden sie geschwächt und sind krankheitsanfälliger. Er plädiert darum für mehr Wildblumenstreifen und Hecken am Rand von Feldern und Äckern sowie mehr Blütenpflanzen in den Wiesen. Das FiBL habe festgestellt, dass es in artenreichen «Bio»-Wiesen drei- bis viermal mehr Bienenarten und mengenmäßig siebenmal mehr Bienen gibt. Und Salvador Garibay übertreibt nicht, wenn er feststellt, dass wir ohne Bienen auf sehr viele Früchte und Gemüse verzichten müssten.

Soeben ist der «Bio Suisse Newsletter» elektronisch ins Haus geflattert: Unter dem Titel «Gemeinsam für Bienen- und Imkernachwuchs» weist er auf den «Tag der offenen Bienenhäuser» hin, der allerdings mehrmals stattfinden wird, bereits ab dem 4. und 5. Juni. Mehr dazu unter www.probienen.ch

«BIO-KRIEG GEGEN MÜCKEN»
35 Aedes vexans
Unter dieser (übersetzten) Schlagzeile berichtete der «Nouvelliste» vom 25. Mai über die Bekämpfung der Stechmücke Ades vexans im Naturschutzgebiet Pouta Fontana im Rhonetal zwischen Sierre und Sion. Da stutzt man automatisch. Unter dem Begriff «Bio» wird einem ja so vieles verkauft, es mutet jedoch eher seltsam an, dass in einem 29 Hektaren großen Feuchtgebiet mit zahlreichen Tümpeln und Teichen, viel Sumpf, Röhricht und Wald, 158 registrierten Vogel-, 4 Amphibien-, 12 Libellen- sowie verschiedenen Fisch- und Weichtier-Arten gegen Mücken vorgegangen wird. Ein Blick ins Internet drängte sich auf: Was ist an dieser Aedes vexans so schlimm, dass zur Bio-Keule gegriffen wird? Der Artikel gibt darauf keine Antwort.

35 Pouta FontanaDas Fauna-Portal von Wikiwallis hat sich mit dem Problem beschäftigt: «In der Umgebung von Pouta-Fontana wohnt man nicht sehr ruhig. In vierjähriger Feldarbeit hat Grégoire Raboud 17 Mückenarten im Reservat bestimmt und so die Unruhestifter entdeckt. Es sind Wandermücken, deren Name Aedes vexans auf den Humor der Wissenschafter und die ‹Begabung› dieser Zweiflügler hinweist: Mobilität und Lust auf Menschenfleisch.» Bekämpft werde sie – wie auch andernorts, zum Beispiel am Oberrhein – mit dem Bacillus thuringensis, der für andere Arten unschädlich sei, wenn man ihn zur richtigen Zeit am richtigen Ort einsetze.35 Pouta-fontana-Heron-cendré

Wir waren heute in der Gegend, zwischen dem Golfplatz Sierre und dem Reservat Pouta-Fontana. Mücken haben wir keine entdeckt, andere Insekten gab’s ebenfalls auffallend wenige. Für die Golfspieler ist das bestimmt angenehm. Wie steht’s jedoch um die Vögel, Fische, Frösche usw.? Im Artikel «Stechmücken» meldet Wikipedia immerhin leise Bedenken an: «Aus ökologischer Sicht gilt die flächendeckende Bekämpfung der Stechmücke, denn in den Gewässern sind Mückeneier und -larven ein wichtiges Glied in der Nahrungskette für Insekten, Spinnen, Vögel, Fische und andere Insektenfresser.»