Jean-Henri Fabre (1823–1915) war nicht bloß ein großer französischer Entomologe, er brillierte auch als Sachbuchautor, Poet, Physiklehrer, Botaniker, Mathematiker, Maler, Philosoph, Einsiedler, Familienvater und vieles, vieles mehr. Ich selbst stieß vor langer Zeit über das 1959 erschienene Buch «Sandkorn für Sandkorn» von Kurt Guggenheim auf dieses Universalgenie. Der Zürcher Schriftsteller beschrieb Fabre darin folgendermaßen: «Er selbst, der Schlanke, Schmale mit seinem bartlosen Gesicht, seinen schwarzen Augen ohne Wimpern, unter seinem ewigen breitkrempigen Schlapphut und mit dem dezenten dunklen Anzug des höheren Schulmeisters bekleidet, ist er unter diesem Himmel, unter dieser Sonne, in diesem Mistral selbst ein wenig wie ein Insekt geworden, trocken, ausgetrocknet, aufmerksam, bedroht und von nie erlahmendem Beschäftigungsdrang.»
Ewiger Hut, ewige Neugier
Auf den Fotos posierte J.-H. Fabre stets mit Hut, ob in seinem Arbeitszimmer oder draussen im Garten seines «Harmas», einen Schlapphut trug er jedoch nie, da hat sich Guggenheim geirrt, er zeigte sich immer mit einer distinguierten steifen Krempe. Obwohl er und seine große Familie – er hatte fünf Kinder in erster und drei Kinder in zweiter Ehe – zeitweise unter bitterster Armut litten (Frankreich entlöhnte damals Lehrer miserabel oder sogar monatelang gar nicht), legte er offensichtlich großen Wert auf korrekte Kleidung. Abgesehen davon ging er seine eigenen Wege und brach als Wissenschaftler mit vielen Konventionen. Sein Stoßseufzer hatte visionären Charakter: «Wann endlich werden wir ein entomologisches Laboratorium erhalten, wo man nicht das tote, im Alkohol aufgeweichte, sondern das lebende Insekt studiert, ein Laboratorium, dessen Forschungsgegenstand die Instinkte, die Gewohnheiten, die Lebensweise, die Arbeit, die Kämpfe und die Fortpflanzung dieser kleinen Gesellschaft sind, mit der sich jedoch sowohl die Landwirtschaft als auch die Philosophie auseinanderzusetzen haben?» Fabre bezeichnete zudem die Insekten als ideales Forschungsgebiet für Arme, da sie stets unentgeltlich und in Fülle zur Verfügung stünden. Das traf zu seiner Zeit in der Provence zweifellos zu.
Dank einem Kredit eines englischen Freundes konnte der Autor der berühmten «Souvenirs entomologiques» (1879–1907) im sechzigsten Altersjahr sein thymianduftendes Freilandlabor am Rand des Dorfes Sérignan aufschlagen, 8 km nördlich von Orange. Im Landgut «Harmas», das heute ein romantisches Museum mit schönem Garten ist, arbeitete Fabre «beim Gesang der Zikaden» und machte aus dem Tier «ein Wesen, das man liebgewinnt». Er plädierte für einen Forschungsstil, der trotz großer Gewissenhaftigkeit alles Lebendige mit Ehrfurcht behandelt. Das Lebenswerk des eigenwilligen Mannes, der Verhaltensforschung betrieb, lange bevor sie offiziell aus der Taufe gehoben wurde, beeinflusste mit seinen Beschreibungen nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch Dichter und Künstler… und nicht zuletzt einen Pfarrer und einen Anwalt.
Übersetzen aus Faszination
Kurt Guggenheim übersetzte Teile von Fabres Lebenswerk unter dem Titel «Das offenbare Geheimnis» (Erstauflage 1961). Auf die Übersetzung der Gesamtausgabe der «Souvenirs» auf Deutsch musste man erstaunlicherweise bis ins 3. Jahrtausend warten. Erst 2009 kam der erste Band bei Matthes & Seitz unter dem Titel «Erinnerungen eines Insektenforschers» heraus. Als Übersetzer zeichnet der 1933 geborene evangelische Pfarrer Friedrich Koch. Er begann mit dieser Herkulesarbeit nach der Lektüre von Guggenheims Teilübersetzung: «Ich fraß das Buch und las es immer wieder, weil ich hier genau die Fähigkeit zum intensiven Erleben und leidenschaftlichen Beobachten wiederfand, die mich erfüllt.» Auftrag hatte er damals keinen, es war die pure Passion, die ihn antrieb. Der letzte Band soll 2018 auf den Markt kommen.
Der Zufall wollte es, dass ebenfalls 2009 der erste Band einer weiteren, diesmal zweisprachigen Gesamtausgabe in Deutsch und Französisch erschien, und zwar unter dem Titel «Entomologische Erinnerungen». Übersetzer und Herausgeber im Selbstverlag ist in diesem Fall der Deutsche Franz-Josef Wittmann. Ich bin auf den ehemaligen Rechtsanwalt über das amüsante Buch «Bonjour la France! Ein Jahr in Paris» (Ullstein) des Auslandkorrespondenten Stefan Ulrich gestoßen. Wittmann zog mit seiner Frau in den Ruhestand in ein verwunschenes Haus ans Ufer des Hérault. Bei einem Ausflug ins Departement Drôme besuchte er das Fabre-Museum, kaufte seine Bücher und war bei der Lektüre absolut fasziniert. Und als 2007 seine Lebensgefährtin starb, begann er mit der Übersetzung des Gesamtwerks im Umfang von 2000 Seiten. Der Homer der Insekten wurde zu seinem Rettungsanker.
PS: Neben dem «Harmas» steht seit 2014 das neue, Jean-Henri Fabre gewidmete Museum «Le Naturoptère» mit Wechselausstellungen, das auch für Kinder attraktiv ist. Mit seinem wellenförmigen Dach erinnert es an das Zentrum Paul Klee in Bern, in dem momentan «About Trees» zu sehen ist, eine hochkarätige Ausstellung über Bäume. Für Kunst- und Naturfreunde von Interesse!