INSEKTENHOTELS SIND TRENDY

Heute schneit es zum ersten Mal in diesem Jahr bis ins Rhonetal. Vor zwei Tagen herrschten noch T-Shirt-Temperaturen mit reichlich blauem Himmel. Hie und dort flatterte noch ein Schmetterling, und am Wegrand lauerte eine Gottesanbeterin auf Beute, etwa eine der letzten noch aktiven Schnarrheuschrecken.Und nun gibt es endlich Schnee, was die Walliser Tourismusbranche bestimmt freut. Für Insektenfreunde brechen jedoch eher monotone Zeiten an…

IMG_1647 (2)Spektakuläre Brutpflege
Am Lac de Montorge steht ein sogenanntes Insektenhotel mit einer Informationstafel, die Sinn und Zweck des dekorativen Häuschens erklärt. Es ist eine Nisthilfe, die in diesem Fall vor allem den Nachkommen von Wildbienen, aber auch holzfressenden Insekten und verschiedenen Wespenarten Unterschlupf bieten soll. Jean-Henri Fabre war ja von der Brutpflege der Sandwespe fasziniert und hat sie wiederholt ausführlich beschrieben. Wie sie die Raupen aufstöbert und ihnen «einen nach dem andern die zehn Hinterleibsringe auf der Bauchseite mit ihrem Stachel ansticht, bis das Beutetier völlig gelähmt ist. Die Sandwespe verlässt ihr Opfer und kehrt zu ihrem Nest zurück, wo sie, im Hinblick auf die Einlagerung der Beute, noch einige Abänderungen vornimmt, den Eingang, den Endraum erweitert.» Das mit gezielten Stichen gelähmte Opfer wird in die Brutkammer mit den Eiern transportiert und dient später den geschlüpften Larven als Nahrungsvorrat. «Übrigens sollte man hundertmal dem Schauspiel beiwohnen, dessen Augenzeuge ich zu werden wünschte, man würde seiner nicht überdrüssig.»*

Insektenhotels ermöglichen es, diese spektakulären Fortpflanzungsmethoden aus nächster Nähe wenigstens teilweise zu beobachten. Das ist ihre wichtigste Aufgabe. Sie dienen vor allem als Informationsmittel für Spaziergänger und Schüler. Wikipedia ist so ehrlich, ihre Schutzfunktion zu relativieren: «Insektenhotels tragen nicht dazu bei, Rote-Liste-Arten zu schützen, und können daher nicht als direkter Artenschutz verstanden werden. Sie werden überwiegend von häufig vorkommenden Kulturfolgerbienen (zum Beispiel Rote Mauerbiene, Osmia bicornis) besiedelt. Selten vorkommende Bienenarten leben meist in Abhängigkeit von speziellen Pflanzenarten…».

Auf den Standort kommt es anIMG_1657 (2)
In der Umgebung des Montorge ist die Landschaft mit den Elementen bestückt, die es braucht, damit das Insektenhotel seinen Zweck erfüllen kann. In nächster Nähe gibt es eine Menge Totholz, Sträucher, Bäume, Naturwiesen, Wasser, Sand. Etliche der Öffnungen sind denn auch mit Lehm verschlossen.

Eine weitere Funktion der Insektenhotels – auch Insektenasyl oder Nützlingshotel genannt – besteht offenbar darin, uns das «gute Gefühl» zu geben, dass wir «etwas für die Umwelt tun». Anders ist der Boom dieser seit den neunziger Jahren existierenden Nisthilfen nicht zu erklären. Das Angebot ist enorm und reicht vom telefonbuchgroßen Insektenhüttchen bis zum luxuriösen Insektenpalast für gehobene Ansprüche. Sie stehen in Kleingärten, Parks, bei Schulhäusern, Einfamilienhäusern, Villen und nicht selten auf Balkonen sowie Hausdächern mitten in der Großstadt und sind für ihre Hersteller zu einem lukrativen Geschäft geworden.

Der Trend, Honigbienen in der Stadt zu halten, ist ebenfalls im Vormarsch. Dazu passt die Erfindung eines Studenten der Schule für Industriedesign der Kunstschule Lausanne (ECAL). Er hat ein tragbares Bienenhaus entwickelt, das in verschiedenen Grössen und in schicken Farben zum moderaten Preis von 250 Franken in den Handel kommen soll. Damit man jederzeit und überall seinen eigenen Honig imkern kann.

* Aus Kurt Guggenheim, Sandkorn für Sandkorn, Zürich 1959.

WILDBIENEN-HOCHBURG ERSCHMATT

Das Wallis kann mit einigen Schweizer Rekorden auftrumpfen. In diesem Kanton ragen am meisten Viertausender in den Himmel, es wird am meisten Wein produziert, am Eingang des Mattertals liegt auf 1145 m der höchste Weinberg, und bei Findeln gab es einst auf 2100 m die höchsten Roggenäcker Europas. Außerdem kann man ob Saas Fee auf dem Allalin das höchste Drehrestaurant und im Mittelallalin die höchste und größte Eisgrotte der Welt besuchen. Der Aletschgletscher in der zentralen Kette wiederum ist mit 23,6 km der längste Gletscher in den Alpen. Doch es gibt noch einen weiteren Walliser Rekord, der Insektenfreunde vermutlich mehr interessieren wird…

Kein Ballenberg-DorfErschmatt_VS_06
Das Bergdorf Erschmatt, das seit 2013 zur Gemeinde Leuk gehört, liegt auf rund 1230 m auf einer Terrasse über dem Tal des Rotten, wie die Rhone im Oberwallis heißt. Heimelige, von der Sonne verbrannte Holzhäuser und Stadel drängen sich um die stattliche weiße Pfarrkirche aus dem 18. Jahrhundert. Der typische geschlossene Dorfkern wurde ins Inventar der schützenswerten Ortsbilder aufgenommen, obwohl der Schweizer Kunstführer etwas sauertöpfisch bemängelt, es seien auch einige neue Häuser gebaut worden. Auch das Bundesinventar der zu erhaltenden Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung ist nicht rundum zufrieden: «Das Dorf ist heute nicht mehr – wie auf älteren Fotos dokumentiert – in eine intensiv bearbeitete, terrassierte Landschaft eingebettet. Zwar stoßen die von Felsbrocken durchsetzten Wieshänge noch immer von drei Seiten an die alten Häusergrenzen, doch sind die meisten Äcker aufgegeben und viele Obstbäume am Absterben, immer mehr Ferienchalets verstellen die Nahumgebungen.» Und der Konservator und Kulturwissenschaftler Werner Bellwald bedauert im Historischen Lexikon der Schweiz 2004: «Die sog. obere und untere Zelg mit Roggenanbau auf ausgedehnten Terrassierungen (ca. 1200–1500 m) und einjähriger Brache (Zweizelgenwirtschaft) wurden bis in die 1960er Jahre kultiviert. Über Jahrzehnte wurde die Berglandwirtschaft von Arbeiterbauern weitergeführt, die ab 1897 einen Teil ihres Auskommens in der Lonza in Gampel, ab 1908 in der Alusuisse in Chippis und ab 1963 v.a. in der Alusuisse in Steg fanden.

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Allmählich wurde die Landwirtschaft extensiviert, aus Arbeiter- wurden Hobbybauern. Inzwischen sind die Getreideäcker verbuscht oder werden als Schafweiden genutzt.» Es stimmt, Erschmatt ist kein Ballenberg-Dörfchen, es leben hier Leute von heute, und die Terrassen werden nicht mehr wie zu alten Zeiten beackert und gejätet. Jedenfalls nicht alle, denn der seit 1985 gepflegte und bei Ökotouristen beliebte Sortengarten sowie der 2003 gegründete Verein «Erlebniswelt Roggen» bemühen sich immerhin, die Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten.

 Auf der Sonnenseite ist gut leben
 Wenn Erschmatt mit dem Motto «Leben auf der Sonnenseite» wirbt, ist das keine Übertreibung. Erschmatt 13 Heliodom_erschmatt_Switzerland_28ist in dieser Beziehung privilegiert. So wundert es denn auch nicht, dass das erste Sonnenhaus der Schweiz 2013 in Erschmatt gebaut wurde: Das von einem Franzosen erfundene Heliodome ist vollständig auf den Sonnenlauf ausgerichtet, es soll angenehm warm im Winter, kühl im Sommer und außerdem noch energiesparend sein. Abgesehen von den Hummeln, die ebenfalls zu den Echten Bienen gehören (siehe Blog 12), sind auch Wildbienen wärmeliebend. Dass es ihnen auf den Erschmatter Terrassen besonders behagt, ergab eine 2005 publizierte Studie, die dem Bergdorf ein bemerkenswert gutes Zeugnis ausstellt.

13 IMG_1627Von den in der Schweiz nachgewiesenen 615 Wildbienenarten konnten auf einer Fläche von zwei Quadratkilometern in der Umgebung des Dorfes Erschmatt rund 280 Spezies nachgewiesen werden, also etwa 46 Prozent des gesamten einheimischen Artenspektrums (zum Vergleich: weltweit gibt es rund 30’000 Wildbienenarten!). Die Akademie der Naturwissenschaften meint dazu 2014 in ihrem Bericht Bienen im Fokus von Wissenschaft und Politik: «Die inneralpine Lage sowie das kleinräumige Mosaik verschiedener Landnutzungstypen bieten Wildbienen hervorragende Lebensbedingungen». Möglicherweise ist es für die Zweiflügler sogar positiv, wenn sich ein wenig Wildwuchs breitmacht und der Wald mit den alten Kiefern nicht allzu pingelig herausgeputzt wird. Anzufügen bleibt, dass die solitär lebenden Wildbienen extrem schwierig zu erfassen sind und aufschlussreiche Angaben dazu entsprechend selten sind. Dennoch gibt es Zahlen, die nicht nur die Akademie alarmieren: «Insgesamt sind 12 Prozent der ursprünglich in der Schweiz heimischen Arten verschollen und 45 Prozent stehen auf der Roten Liste.» Wildbienen sind anspruchsvoll, was ihren Lebensraum betrifft, sie benötigen Vielfalt und Kleinräumigkeit. Und die ist selbst in den Bergkantonen nicht mehr überall vorhanden. Ein schweizweites Wildbienen-Monitoring soll 2016 gestartet werden. Man darf auf die Resultate gespannt sein.